Rn 2
§ 88 I betrifft in der Praxis va die Vollstreckung von Ansprüchen auf Herausgabe von Kindern (§§ 1632 I, 1666 BGB) oder unter Betreuung stehenden Personen (§ 1834 II BGB) und die Durchsetzung von Umgangsregelungen (§§ 1632 II, 1684, 1685 BGB). Für die Vollstreckung eines Anspruches analog §§ 1632 iVm 1684 II BGB auf Herausgabe von persönlichen Sachen eines Kindes (vgl BGH NJW-RR 19, 897 [BGH 27.03.2019 - XII ZB 345/18]), der grds gem § 95 I Nr 2 FamFG nach den allgemeinen Regeln der ZPO zu vollstrecken ist, ergibt sich zur Vereinheitlichung des Vollstreckungsverfahrens aus § 88 FamFG eine Annexkompetenz, wenn auch der Anspruch auf Herausgabe des Kindes vollstreckt werden soll (vgl MüKoFamFG/Zimmermann Rz 7; Sternal/Giers Rz 5; Grüneberg/Götz § 1632 Rz 7). Der Anspruch auf Erteilung einer Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes wird andererseits nicht als Vorbereitungshandlung von dieser Annexzuständigkeit erfasst, sondern nach § 95 I Nr 3 FamFG iVm § 888 ZPO vollstreckt (BGH NZFam 17, 429).
Rn 3
Die örtliche Zuständigkeit liegt insoweit bei dem Gericht, in dessen Bezirk das Kind oder die betreute Person im Zeitpunkt der Einleitung der Vollstreckung seinen bzw ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ein späterer Umzug ist irrelevant (Ddorf NZFam 22, 611). Dadurch sollen für die Durchführung der Vollstreckung evtl erforderliche neue Ermittlungen vereinfacht werden (BTDrs 16/6308, 217). Abweichend von der Grundregel im FamFG kann diese Vorschrift aber auch dazu führen, dass, bspw durch einen Umzug der betroffenen Person nach Erlass des Titels, ein Zuständigkeitswechsel eintritt und nicht mehr das Gericht den Titel vollstreckt, das ihn selbst erlassen hat.
Rn 4
Der gewöhnliche Aufenthalt wird im FamFG nicht definiert. In Anlehnung an die zum Internationalen Privatrecht entwickelten Grundsätze liegt er an dem Ort, an dem sich der Schwerpunkt der sozialen (Schule, Kindergarten) und familiären Bindungen des Kindes befindet (sog Daseinsmittelpunkt, vgl Bremen FamRZ 15, 776). Der Aufenthaltsort des Kindes ist selbstständig zu bestimmen, fällt aber rein faktisch in aller Regel mit dem Aufenthalt des betreuenden Elternteils zusammen. Anders liegt der Fall nur, wenn das Kind sich dauerhaft in einem Heim oder Internat aufhält und dort folglich auch sein Daseinsmittelpunkt ist. In Fällen der Kindesentführung wird ab einer gewissen Dauer ebenfalls ein neuer Aufenthaltsort begründet (Nürnbg NJW-RR 02, 1515 [OLG Nürnberg 24.04.2002 - 11 UF 682/01]). Bei einem wechselnden gewöhnlichen Aufenthalt, etwa infolge eines von den Eltern bei der Betreuung praktizierten Wechselmodells, besteht an jedem Aufenthaltsort eine Zuständigkeit nach § 88 I (MüKoFamFG/Zimmermann Rz 4). Das Gericht hat den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes von Amts wegen zu ermitteln. Veränderungen des gewöhnlichen Aufenthalts, die erst nach Einleitung der Vollstreckung eintreten, berühren die Zuständigkeit des Gerichts nicht mehr (vgl § 2 II ›perpetuatio fori‹).
Rn 5
Sachlich und funktionell ist der Richter (§ 14 I Nr 7 u 8 RPflG) am Familiengericht (AG) (§ 151 Nr 2 u 3 FamFG iVm §§ 23a, 23b GVG) für Vollstreckungsmaßnahmen nach § 88 I zuständig. Die internationale Zuständigkeit für das Vollstreckungsverfahren regeln die §§ 98 ff FamFG (BGH NJW-RR 16, 69 [BGH 30.09.2015 - XII ZB 635/14]).