Gesetzestext
(1) Das Gericht kann durch ausdrücklichen Beschluss zur Vollstreckung unmittelbaren Zwang anordnen, wenn
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die Festsetzung von Ordnungsmitteln erfolglos geblieben ist; |
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die Festsetzung von Ordnungsmitteln keinen Erfolg verspricht; |
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eine alsbaldige Vollstreckung der Entscheidung unbedingt geboten ist. |
(2) Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen ein Kind darf nicht zugelassen werden, wenn das Kind herausgegeben werden soll, um das Umgangsrecht auszuüben. Im Übrigen darf unmittelbarer Zwang gegen ein Kind nur zugelassen werden, wenn dies unter Berücksichtigung des Kindeswohls gerechtfertigt ist und eine Durchsetzung der Verpflichtung mit milderen Mitteln nicht möglich ist.
A. Allgemeines.
Rn 1
§ 90 enthält die Voraussetzungen für die Anwendung von unmittelbarem Zwang im Rahmen eines Titels, der auf Herausgabe einer Person oder auf Ausübung eines Umgangsrechts gerichtet ist. Abs 1 unterscheidet dabei 3 Fallgruppen, in denen der Einsatz unmittelbaren Zwangs jeweils möglich ist. Abs 2 enthält zusätzliche Einschränkungen für die Anwendung von unmittelbarem Zwang gegen das herauszugebende Kind selbst.
B. Voraussetzungen für die Anordnung von unmittelbarem Zwang.
Rn 2
Die Anwendung von unmittelbarem Zwang, dh die Durchsetzung des Titels mithilfe physischer Gewalt, ist als einschneidendste Vollstreckungsmaßnahme nur als Ultima Ratio zulässig. § 90 I stellt daher zusätzliche Voraussetzungen auf, die die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sicherstellen sollen. Es genügt allerdings, wenn die Voraussetzungen einer der Nr des Abs 1 erfüllt sind, die Voraussetzungen müssen nicht kumulativ vorliegen. Mit der Durchsetzung des Titels ist grds der Gerichtsvollzieher beauftragt, der sich allerdings bei der Ausübung physischer Gewalt auch durch polizeiliche Vollstreckungsbeamte unterstützen lassen darf (AG Freiburg BeckRS 22, 23816). Bei Anwendung von unmittelbarem Zwang durch die Polizei kann diese uU auch iRd Gefahrenabwehr nach dem Polizeirecht tätig werden und nicht mit der Zielsetzung der Vollstreckung einer umgangsrechtlichen Entscheidung (VGH München NZFam 22, 668).
Rn 3
Nach Nr 1 sollen grds zunächst Ordnungsmittel (Ordnungsgeld und Ordnungshaft) nach § 89 verhängt werden und erst, wenn diese erfolglos geblieben sind, kann zur Durchsetzung auf den unmittelbaren Zwang zurückgegriffen werden. Die Ordnungsmittel sind erfolglos, wenn sie nicht den gewünschten Erfolg (Herausgabe des Kindes) herbeigeführt haben. Ob das Ordnungsgeld bereits vollstreckt wurde, ist hingegen unerheblich (Hamm FamRZ 20, 1490, 1491 f; MüKoFamFG/Zimmermann Rz 8; aA Sternal/Giers Rz 4). Versprechen andere Ordnungsmittel von vornherein keinen Erfolg, kann nach Nr 2 auch direkt unmittelbarer Zwang angeordnet werden. Dies ist bspw dann der Fall, wenn das Ordnungsgeld wegen Vermögenslosigkeit des Verpflichteten nicht beigetrieben werden kann und die Anordnung von Ordnungshaft zu einem Zeitverlust führt, der die Durchführung der Maßnahme verhindern würde. Eine sofortige Anordnung von unmittelbarem Zwang ist nach Nr 3 auch dann möglich, wenn die alsbaldige Vollstreckung der Entscheidung unbedingt geboten erscheint. Die Voraussetzungen für Nr 3 sind streng und idR nur erfüllt, wenn ohne eine unmittelbare gewaltsame Vollstreckung der Entscheidung dem Kind gravierende Nachteile drohen (bspw Zwangsverheiratung, Verschleppung in das Ausland oder Beschneidung bei Mädchen, vgl zu Letzterem BGH NJW 05, 672 [BGH 15.12.2004 - XII ZB 166/03]).
C. Unmittelbarer Zwang gegen das Kind selbst (Abs 2).
Rn 4
§ 90 II enthält zusätzliche Einschränkungen, wenn sich der unmittelbare Zwang gegen das Kind selbst und nicht gegen die es betreuende Person richtet. In diesem Fall ist der Einsatz von unmittelbarem Zwang ausgeschlossen, wenn durch ihn lediglich die Ausübung eines Umgangsrechts durchgesetzt werden soll. Gegen ein sich dauerhaft und ohne nachvollziehbare Gründe weigerndes Elternteil darf hingegen unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn nur so der Umgang des anderen Elternteils mit den gemeinsamen Kindern ermöglicht werden kann (Frankf NJW 02, 3785 [OLG Frankfurt am Main 03.09.2002 - 1 UF 103/00]).
Rn 5
Auch bei der Vollstreckung eines Herausgabetitels gegen das Kind selbst ist besondere Rücksicht auf das Kindeswohl und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu nehmen. Ein entscheidendes Kriterium ist dabei das Alter des Kindes. Je älter und verständiger das Kind ist, desto eher muss sein entgegenstehender Wille berücksichtigt werden. Bei fast volljährigen Kindern wird daher die Durchsetzung eines Herausgabetitels gegen den Willen des Kindes mit unmittelbarem Zwang regelmäßig ausscheiden (BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 7; MüKoFamFG/Zimmermann Rz 14 mwN; aA Hamm FamRZ 20, 1490, 1492 f). Die in Abs 2 erwähnte Kindeswohlprüfung berücksichtigt lediglich, ob der unmittelbare Zwang als solcher mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Die umfassende Kindeswohlprüfung des Erkenntnisverfahrens wird hingegen nicht wiederholt (Hamm FamRZ 20, 1490, 1492). Aus diesem Grunde soll nach Ansicht des OLG Hamm (FamRZ 20, 1490, 1494) auch eine vorherige persönliche Anhörung des Kindes im Regelfall nicht erforderlich sein (an...