I. Verhaltenspflichten zur Wahrung der Unabhängigkeit.
Rn 18
Das in diesem Zusammenhang anzusprechende verfassungsrechtlich verankerte Prinzip des gesetzlichen Richters (Art 101 I 2 GG, iE dazu unten § 16 I GVG) hat in Deutschland historische Hintergründe und wird in anderen zweifellos ebenfalls demokratisch organisierten Staaten und bei internationalen Gerichten oft als Misstrauen ggü den Richtern in Deutschland missverstanden. Die Gewährleistung soll letztlich das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten in die Sachlichkeit und Unparteilichkeit der Richterinnen und Richter entspr dem Richtereid (§ 38 I DRiG) stärken. Gerade diese Außenwirkung ist Grundlage der in § 39 DRiG geregelten allg Verhaltenspflichten innerhalb und außerhalb des Amtes. Das hieraus abgeleitete Mäßigungsgebot speziell auch außerhalb der Amtsausübung hindert den Richter nicht, sich politisch zu betätigen oder sich in wissenschaftlichen Diskussionen mit seiner Meinung einzubringen, und zwar auch zu Rechtsfragen. Dies muss aber in sachlicher Form geschehen und nicht durch Polemik und rein abfällige Bemerkungen, die geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit bei der Amtsausübung zu begründen oder das Ansehen des Gerichts zu beeinträchtigen. Dies gilt erst Recht für die Abfassung gerichtlicher Entscheidungen, die nicht losgelöst vom Fall zur ›Bühne‹ für die Darstellung eigener politischer Anschauungen gemacht werden dürfen.
II. Die Verteilung der Geschäfte durch das Präsidium.
1. Grundsätze.
Rn 19
Das Prinzip des gesetzlichen Richters wird einfachgesetzlich ua durch den sog Stetigkeitsgrundsatz (Jährlichkeitsprinzip) des § 21e I GVG ausgestaltet (vgl zu der fehlenden subjektiven Rechtsbetroffenheit einzelner Richter bei Änderungen der Geschäftsverteilung unter Verstoß hiergegen OVG Koblenz DVBl 08, 266). Die gerichtliche Selbstverwaltung (§§ 21a ff GVG) gehört zur Rspr im Verständnis des GVG, nicht zur Gerichtsverwaltung (BGH MDR 67, 211) und nimmt daher an der Gewährleistung des Art 97 I GG teil (dazu auch vor §§ 21a ff Rn 10). In besonderen Konstellationen können sich daher Verletzungen der richterlichen Unabhängigkeit auch aus den in aller Regel nur als sog Umsetzungen insoweit keinen Bedenken unterliegenden Entscheidungen eines Gerichtspräsidiums über die Geschäftsverteilung innerhalb eines Gerichts (§ 21e GVG, § 4 VwGO, zum str Rechtssatzcharakter des für die Beteiligten vorab den zuständigen Richter bestimmenden Geschäftsverteilungsplans bejahend etwa Kopp/Schenke § 4 Rz 9 f mzN auch zur Gegenansicht) ergeben (hierzu allg Kornblum FS Schiedermair, 331, 346 sowie NJW 77, 666). Dabei handelt es sich um Ermessensentscheidungen, bei denen grds neben anderen sachlichen Gesichtspunkten auch einer aus gesundheitlichen Umständen, spezifischer Sachkunde, Routinevorteilen oder individuellen Fähigkeiten bei der Bearbeitung von Rechtsstreitigkeiten resultierenden unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Richter Rechnung getragen werden darf. Der Richter hat keinen Anspruch darauf, ein bestimmtes Arbeitsgebiet zugeteilt zu bekommen, einem bestimmten Spruchkörper zugeordnet zu werden oder von Umbesetzungsmaßnahmen verschont zu bleiben (VGH München Beschl v 20.1.00 – 20 ZB 99, 3394). Die Bitte des Dienstvorgesetzten an das Präsidium, einen Richter wegen anderweitiger Verpflichtungen, etwa iRd Referendarausbildung, bei der Geschäftsverteilung ›nachhaltig‹ in seinem Dezernat zu entlasten, beeinträchtigt die richterliche Unabhängigkeit der Präsidiumsmitglieder und stellt eine unzulässige Maßnahme der Dienstaufsicht dar (BGH NJW 91, 423 [BGH 14.09.1990 - RiZ (R) 3/90]).
2. Konflikte mit der (persönlichen) richterlichen Unabhängigkeit.
Rn 20
Entscheidungen der Präsidien zur Geschäftsverteilung können mit der sachlichen Unabhängigkeit in Konflikt treten, wenn der davon betroffene Richter erkennbar für eine ›unerwünschte‹ Entscheidung diszipliniert oder an der Fortsetzung seiner Rspr zu einer bestimmten Rechtsfrage gehindert werden soll (OVG Koblenz DVBl 08, 266, dort konkret verneint). Eine Verletzung seiner persönlichen Unabhängigkeit (s dazu iE unten E.) liegt dagegen vor, wenn es sich im Ergebnis um eine ›Umsetzung zur Untätigkeit‹ handelt, weil die Maßnahme dazu führt, dass die Mitwirkung des Betroffenen an der Rspr des Gerichts absehbar künftig so gering ist, dass von einer Recht sprechenden Tätigkeit nicht mehr ausgegangen werden kann. Die Geschäftszuweisung stellt dann eine faktische Amtsenthebung dar (BVerfG DVBl 64, 393 [BVerfG 25.02.1964 - 2 BvR 411/61]). Es steht den Präsidien nicht zu, einen von den Mitgliedern als ›untragbar‹ oder ungeeignet erachteten Richter auf diese Weise von der Rspr fernzuhalten. Umgekehrt vermittelt die Unabhängigkeitsgarantie dem Richter ein Abwehrrecht gegen eine ihn überfordernde Einflussnahme durch eine ›überobligatorische‹ Zuweisung seines Arbeitspensums. Er ist daher in diesen Fällen auch nicht verpflichtet, sämtliche ihm im Geschäftsverteilungsplan übertragenen Aufgaben sofort und ohne Beschränkung seines zeitlichen Einsatzes zu erledigen (BGH NJW 12, 2334 [BVerfG 23.05.2012 - 2 BvR 610/12; 2 BvR 625/12], Doppelvorsitz BGH).
3. Geschäftsverteilung und Willkürverbot.
Rn 21
Die genannten Fälle faktischer ›Kaltstellung‹ werden unte...