Rn 2

Ist auch den Parteien ein unmittelbarer Zugriff auf die Verweisungsentscheidung verwehrt, so kann die empfangende Zivilkammer oder KfH zwar nicht das Präsidium einschalten (BGH NJW 75, 2304 [BGH 25.08.1975 - 2 StR 309/75]); sie kann sich aber gegen eine Bindung zur Wehr setzen, indem sie den Streit analog § 36 I Nr 6 ZPO dem OLG zur Entscheidung vorlegt (Brandbg 25.5.11 – 1 AR 25/11; Hambg ZInsO 18, 1472; KG ZInsO 18, 1807; Bernau NJW 14, 2234). Voraussetzung ist aber das Vorliegen eines Verweisungsbeschlusses, nicht nur der Versuch einer Abgabe (München OLGR 08, 695). In entsprechender Anwendung der auch für § 281 II ZPO maßgeblichen Grundsätze (KG KGR 08, 951; § 281 ZPO Rn 42 ff) ist zu prüfen, ob gravierende Rechtsverstöße der Entscheidung zugrunde liegen, so dass ausnahmsweise die Bindungswirkung durchbrochen ist. In Betracht kommen Verweisungen, die jeglicher Grundlage entbehren, mithin willkürlich sind (Köln NJW-RR 02, 426 [OLG Köln 08.02.2001 - 5 W 19/01]; München NZG 14, 231; vgl auch Fischer MDR 02, 1401; Gaul JZ 84, 563). Hierhin gehört, wenn nicht der zuständige Einzelrichter, sondern die Zivilkammer entscheidet (Celle OLGR 04, 370). Oder wenn ›nach Antrag‹ entschieden wird, obwohl kein Antrag gestellt wurde (Zö/Lückemann Rz 4). Dabei kann genügen, wenn bei mehreren Beklagten nicht alle einen Antrag gestellt haben (Celle NdsRpfl 10, 59). Auch Verstöße gegen das rechtliche Gehör sind an dieser Stelle anzusiedeln (KG KGR 00, 127; Stuttg NJW-RR 05, 699; Frankf ZInsO 18, 2376; aA Bremen OLGZ 75, 475, 477), da anders der Verstoß nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Praxis neigt dazu, Fälle, in denen von Willkür auszugehen ist, zu standardisieren (vgl Fischer MDR 18, 646). Beispielhaft sei hier die Verweisung bei einem verspätet gestellten Antrag angesprochen. Während eine Gruppe zutreffend darauf abstellt, dass dieser Verfahrensfehler allein ohne weitere Hinweise für Willkür nicht ausreiche (Braunschw NJW-RR 95, 1535; Brandbg NJW-RR 01, 63 [OLG Brandenburg 24.02.2000 - 1 AR 8/00]; 18, 23), genügt für andere das Vorliegen des Verfahrensfehlers an sich (Frankf OLGR 01, 242; KG KGR 08, 963). Sehr weitgehend ist es, jeden Verstoß gegen § 101 I als willkürlich einzuordnen (Hambg NJW-RR 12, 634; ähnlich Hambg ZInsO 18, 1472; dagegen auch Brandbg NJW-RR 18, 23). Eine unzureichende Bezugnahme auf eine Mindermeinung und die fehlende Auseinandersetzung mit der hM stellt ebenfalls sehr hohe Anforderungen und schränkt den Normzweck ein (Hamm MDR 14, 1106; Stuttg 2.6.16 – 3 AR 5/16). Auch die fehlerhafte Subsumtion eines Wettbewerbsstreits wird zur Willkür gerechnet (Hamm ITRB 14, 129). Richtigerweise ist hier auch die Verfahrensökonomie einzudenken (München NZG 14, 231, 232 [OLG München 29.11.2013 - 34 AR 297/13]). Die Durchbrechung des § 102 sollte als Ausnahme immer aus der konkreten Rechtssache begründet werden (vgl auch Tombrink NJW 03, 2364).

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