Gesetzestext
1Die Entscheidung über Verweisung eines Rechtsstreits an die Zivilkammer oder an die Kammer für Handelssachen ist nicht anfechtbar. 2Erfolgt die Verweisung an eine andere Kammer, so ist diese Entscheidung für die Kammer, an die der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend. 3Der Termin zur weiteren mündlichen Verhandlung wird von Amts wegen bestimmt und den Parteien bekanntgemacht.
A. Unanfechtbarkeit.
Rn 1
Zuständigkeitsstreitigkeiten sollen aus Gründen der Prozessökonomie nicht ausufern (vgl BGHZ 63, 214). Wie § 281 II ZPO ordnet § 102 daher die Unanfechtbarkeit der Entscheidung (S 1) und ihre Bindung (S 2) an (vgl Fischer MDR 18, 646). Auch im Zusammenhang mit der Endentscheidung kann die Verweisung nicht im Wege eines allgemeinen Rechtsmittels angegriffen werden (§ 101 Rn 2). Zunächst verlangt die Norm eine förmliche Entscheidung, das ist regelmäßig ein Beschluss (vgl Hambg BKR 19, 346 [BGH 19.02.2019 - XI ZR 362/17], juris Rz 9). Die fehlende Angreifbarkeit der Entscheidung besteht unabhängig davon, ob sie auf Antrag oder vAw ergangen ist. Es spielt keine Rolle, ob die Entscheidung stattgebender, ablehnender oder aufhebender Natur ist (vgl Nürnbg MDR 73, 507). Auch die stillschweigende Ablehnung eines Verweisungsantrags ist unanfechtbar (Kissel/Mayer Rz 3). Bereits im PKH-Verfahren ausgesprochene Verweisungen sollen für das gesamte Verfahren binden (Hambg MDR 67, 409). Unanfechtbar ist auch eine willkürliche oder sonst grundrechtswidrige Annahme der Zuständigkeit (Kobl OLGR 09, 967; vgl aber Rn 2). Es muss sich allerdings um eine Verweisung (oder deren Ablehnung) handeln. Nicht genügt die Ablehnung einer Übernahme oder die Verneinung der eigenen Zuständigkeit. Behandelt die Begründung auch Fragen der örtlichen Zuständigkeit, so erfasst die Bindungswirkung auch diese (BayObLG NJW-RR 03, 356; vgl BGHZ 63, 214 nach alter Rechtslage für die Abgrenzung der ordentlichen zur Arbeitsgerichtsbarkeit). Die Bindung ist auf die Reichweite des § 102 beschränkt (vgl BAG NJW 93, 1878 [BAG 04.01.1993 - 5 AS 12/92]). So ist – auch wenn die Entscheidung überschießend formuliert – die Zuständigkeit einer einzelnen Zivilkammer oder KfH noch nicht festgelegt (MüKoZPO/Pabst Rz 4). § 99 durchbricht § 102, weil sich der Streitgegenstand ändert. Nicht von § 102 erfasst sind außerdem Verweisungen, die unabhängig von § 95 etwa gegen eine ausschließliche Zuständigkeit der KfH (§ 94 Rn 3) verstoßen.
B. Negativer Kompetenzkonflikt.
Rn 2
Ist auch den Parteien ein unmittelbarer Zugriff auf die Verweisungsentscheidung verwehrt, so kann die empfangende Zivilkammer oder KfH zwar nicht das Präsidium einschalten (BGH NJW 75, 2304 [BGH 25.08.1975 - 2 StR 309/75]); sie kann sich aber gegen eine Bindung zur Wehr setzen, indem sie den Streit analog § 36 I Nr 6 ZPO dem OLG zur Entscheidung vorlegt (Brandbg 25.5.11 – 1 AR 25/11; Hambg ZInsO 18, 1472; KG ZInsO 18, 1807; Bernau NJW 14, 2234). Voraussetzung ist das Vorliegen eines Verweisungsbeschlusses, nicht nur der Versuch einer Abgabe (München OLGR 08, 695). In entsprechender Anwendung der auch für § 281 II ZPO maßgeblichen Grundsätze (KG KGR 08, 951; § 281 ZPO Rn 42 ff) ist zu prüfen, ob gravierende Rechtsverstöße der Entscheidung zugrunde liegen, so dass ausnahmsweise die Bindungswirkung durchbrochen ist. In Betracht kommen Verweisungen, die jeglicher Grundlage entbehren, mithin willkürlich sind (Köln NJW-RR 02, 426 [OLG Köln 08.02.2001 - 5 W 19/01]; München NZG 14, 231; vgl auch Fischer MDR 02, 1401; Gaul JZ 84, 563). Hierhin gehört, wenn nicht der zuständige Einzelrichter, sondern die Zivilkammer entscheidet (Celle OLGR 04, 370). Oder wenn ›nach Antrag‹ entschieden wird, obwohl kein Antrag gestellt wurde (Frankf GmbHR 23, 671, 672: Antragsverzicht; Zö/Lückemann Rz 4). Dabei kann genügen, wenn bei mehreren Beklagten nicht alle einen Antrag gestellt haben (Celle NdsRpfl 10, 59). Auch Verstöße gegen das rechtliche Gehör sind an dieser Stelle anzusiedeln (KG KGR 00, 127; Stuttg NJW-RR 05, 699; Frankf ZInsO 18, 2376; aA Bremen OLGZ 75, 475, 477), weil anders der Verstoß nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Praxis neigt dazu, Fälle, in denen von Willkür auszugehen ist, zu standardisieren (vgl Fischer MDR 18, 646). Beispielhaft sei hier die Verweisung bei einem verspätet gestellten Antrag angesprochen. Während eine Gruppe zutreffend darauf abstellt, dass dieser Verfahrensfehler allein ohne weitere Hinweise für Willkür nicht ausreiche (Braunschw NJW-RR 95, 1535; Brandbg NJW-RR 01, 63 [OLG Brandenburg 24.02.2000 - 1 AR 8/00]; 18, 23), genügt für andere das Vorliegen des Verfahrensfehlers an sich (Frankf OLGR 01, 242; KG KGR 08, 963). Sehr weitgehend ist es, jeden Verstoß gegen § 101 I als willkürlich einzuordnen (Hambg NJW-RR 12, 634; ähnlich Hambg ZInsO 18, 1472; dagegen auch Brandbg NJW-RR 18, 23). Eine unzureichende Bezugnahme auf eine Mindermeinung und die fehlende Auseinandersetzung mit der hM stellt ebenfalls sehr hohe Anforderungen und schränkt den Normzweck ein (Hamm MDR 14, 1106; Stuttg 2.6.16 – 3 AR 5/16). Auch die fehlerhafte Subsumtion eines We...