I. Verfahren vor dem Landgericht.
Rn 2
Die Einleitung eines Musterverfahrens setzt einen bei dem LG (§ 71 II Nr 3) anhängigen Rechtsstreit voraus, in dem Ansprüche auf Schadensersatz wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen bzw deren Verwendung oder Erfüllungsansprüche aufgrund Vertrages geltend gemacht werden, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht (§ 1 KapMuG). Dazu gehören auch öffentliche Kapitalmarktinformationen des unreglementierten sog ›Grauen Kapitalmarktes‹ (BGH MDR 08, 1057). Auch auf positive Feststellungsklagen hinsichtlich solcher Ansprüche soll das KapMuG anwendbar sein (BGHZ 207, 316). Der sog Musterfeststellungsantrag wird beim Prozessgericht gestellt (§ 2 II KapMuG). Darin sind die Feststellungsziele und die öffentlichen Kapitalmarktinformationen zu bezeichnen. Feststellungsziele können nur Rechtsfragen oder Tatsachen zu anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzungen sein, nicht aber der geltend gemachte Anspruch als solcher (BGH aaO). Jedes Feststellungsziel bildet einen eigenständigen Streitgegenstand des Kapitalanleger-Musterverfahrens (BGH, NJW 17, 3777 [BGH 19.09.2017 - XI ZB 17/15]), Streitigkeiten mit nur mittelbarem Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation (zB aus Anlageberatungsvertrag) scheiden als Gegenstand eines Musterfeststellungsverfahrens aus (BGH NJW 09, 513 [BGH 30.10.2008 - III ZB 92/07]). Die Prüfung des Prozessgerichts ist beschränkt auf die Zulässigkeit des Antrags. Nach Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 3 KapMuG) macht das Prozessgericht den (zulässigen) Antrag in dem vom Bundesanzeiger eingerichteten Klageregister bekannt, in das jedermann kostenlos Einsicht nehmen kann (§ 3 II KapMuG). Die Eintragung enthält die Bezeichnung des Beklagten, des betroffenen Emittenten von Wertpapieren oder des Anbieters sonstiger Vermögensanlagen, die Bezeichnung des Prozessgerichts unter Angabe des Aktenzeichens, das Feststellungsziel des Musterfeststellungsantrages, eine knappe Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhaltes sowie den Zeitpunkt des Eingangs des Musterverfahrensantrages beim Prozessgericht und der Bekanntmachung im Klageregister (§ 3 II 2 KapMuG). Mit der Eintragung in das Klageregister wird das Ursprungsverfahren unterbrochen (§ 5 KapMuG). Wenn innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Bekanntmachung der Eintragung mindestens neun weitere gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt sind, hat das Prozessgericht durch unanfechtbaren Vorlagebeschluss nach § 6 I KapMuG eine Entscheidung des übergeordneten Oberlandesgerichts über das Feststellungsziel der gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge herbeizuführen. Dabei müssen die Anträge nicht in zehn verschiedenen Prozessen gestellt worden sein. Zehn gleichlautende Anträge einfacher Streitgenossen reichen aus (BGH ZIP 08, 1197 f mit zust Anm Gundermann BB 08, 1416).
II. Verfahren vor dem OLG.
Rn 3
Dieses richtet sich nach den Vorschriften der ZPO für das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten (§ 11 I 1 KapMuG) mit den sich aus §§ 11 ff KapMuG ergebenden Besonderheiten und Einschränkungen. Das OLG bestimmt nach Maßgabe des § 9 II KapMuG aus den Klägern einen sog Musterkläger; die übrigen Kl sind beizuladen. Sie haben nach §§ 14, 22 I, III KapMuG die Stellung von Nebenintervenienten iSd §§ 66 I, 67 ZPO. Das Prozessgericht macht den Inhalt des Vorlagebeschlusses im Klageregister öffentlich bekannt (§ 6 IV KapMuG). Als Folge dieser Bekanntmachung sind sämtliche Prozesse vor dem Ausgangsgericht, deren Entscheidung von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, vAw auszusetzen (§ 8 KapMuG), ohne Rücksicht darauf, ob in dem Verfahren ein Musterfeststellungsantrag gestellt worden ist. Eine Aussetzung scheidet aber aus, wenn die Sache ohne weitere Beweiserhebungen und ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele eines Musterverfahrens entscheidungsreif ist (BGH Beschl v 25.2.16 – III ZB 74/15 – juris: Schadensersatzanspruch war verjährt; BGH MDR 16, 765 [BGH 28.01.2016 - III ZB 88/15]). Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ergeht durch Beschl aufgrund obligatorischer (§ 16 I 1 KapMuG) mündlicher Verhandlung ggf mit Beweisaufnahme, gegen den die Rechtsbeschwerde statthaft ist (§ 20 KapMuG). Nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens wird der Ausgangsprozess fortgesetzt. Das Prozessgericht ist an die im Musterentscheid enthaltenen Feststellungen gebunden (§ 22 I KapMuG).