Rn 2
Zuständiges Rechtsmittelgericht bei Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen des Amtsgerichts ist nach § 72 grds das LG. Abs 1 weist abw von diesem Grundsatz dem OLG zusätzliche Zuständigkeiten zu, die über die bisherige Zuständigkeit in Familiensachen hinausgehen.
I. Beschwerden gegen Entscheidungen des Familiengerichts (Abs 1 Nr 1a).
Rn 3
In familiengerichtlichen Verfahren nach dem FamFG entscheidet das Familiengericht nicht mehr durch Urteil, sondern durch Beschl (§ 38 FamFG). Gegen Entscheidungen der Familiengerichte ist deshalb nur noch das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft. Die Zuständigkeit der Familiengerichte und damit zugleich der Familiensenate beim OLG ist in § 23a I Nr 1 abschließend geregelt. Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des OLG ist allein der Umstand, ob das Amtsgericht als Familiengericht entschieden hat (formelle Anknüpfung), nicht, ob es sich bei dem der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsstreit materiell um eine Familiensache handelt (stRspr, BGH FamRZ 88, 1035; BGH NJW-RR 95, 379). Hat umgekehrt die allgemeine Zivilabteilung des Amtsgerichts in einer Familiensache entschieden, ist nach § 72 I das LG für das Rechtsmittel zuständig (BGH NJW 91, 231). Entscheidend ist, welche Abteilung des Amtsgerichts tatsächlich tätig geworden ist (BGH FamRZ 92, 665). Zweck dieser formellen Anknüpfung ist es, für den Betroffenen mehr Rechtssicherheit für die Frage zu erreichen, bei welchem Gericht er Rechtsmittel einlegen muss. In diesen Fällen ist ausnahmsweise auf Antrag entsprechend § 281 ZPO aus prozessökonomischen Gründen eine Verweisung von Rechtsmittelgericht zu Rechtsmittelgericht zulässig (BGH aaO). Nur wenn zB auf Grund unterschiedlicher Kennzeichnung des Gerichts und des Verfahrensgegenstandes Zweifel bestehen, ob das Familiengericht oder die allgemeine Zivilabteilung entschieden hat, können nach dem allgemeinen Prinzip der Meistbegünstigung Rechtsmittel entweder beim LG oder beim OLG eingelegt werden (BGH NJW-RR 95, 379 [BGH 02.11.1994 - XII ZB 121/94]).
Rn 4
Die formelle Anknüpfung ist außerdem von Bedeutung für die Frage, welcher Senat des Oberlandesgerichts zuständig ist, wenn das Familiengericht zu Unrecht seine Zuständigkeit angenommen hat. Da § 119 II auf § 23b I, II verweist, wonach auch beim OLG Familiensenate einzurichten sind, lässt diese gesetzgeberische Bestimmung es mit dem Grundsatz der formellen Anknüpfung als unvereinbar erscheinen, für die Frage der Zuständigkeit innerhalb des OLG an die materielle Rechtslage anzuknüpfen. Danach ist der Familiensenat zuständig, wenn das Familiengericht fälschlicherweise seine Zuständigkeit angenommen hat. Eine Abgabe an den allgemeinen Zivilsenat scheidet aus. Der Familiensenat muss deshalb nach allgemeinem Prozessrecht in der Sache entscheiden (Kissel/Mayer Rz 9). Eine Zurückverweisung an die allgemeine Zivilabteilung des Amtsgerichts ist grds ausgeschlossen. Sie kommt allenfalls in Betracht, wenn das Familiengericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen hat (Zö/Lückemann Rz 6; Kissel/Mayer aaO).
Rn 5
Die Zuständigkeit des Familiensenats ist auch für Beschwerden in sog Nebenentscheidungen der Familiengerichte begründet, die die Hauptsache vorbereiten oder ergänzen; dazu gehört auch die Bestimmung des zuständigen Gerichts bei Kompetenzkonflikten (Ddorf FamRZ 77, 725). Erfasst werden auch Kosten- und Streitwertbeschwerden oder Kompetenzkonflikte nach § 36 ZPO in Familiensachen (Zö/Lückemann Rz 8). Ein Verfahren über Kosten aus einer Familiensache ist wie das Hauptsacheverfahren Familiensache (§ 57 FamGKG). Für Beschwerden gegen Entscheidungen des Familiengerichts über Zeugen- und Sachverständigenentschädigungen nach dem JVEG ist aber wegen der Sonderregelung in § 4 IV JVEG das LG als ›das nächsthöhere Gericht‹ zuständig (München FamRZ 11, 844; Celle FamRZ 13, 1512: Vergütung eines Sachverständigen nach JVEG in einer Familiensache; Frankf Beschl v 28.3.23, 6 WF 47/23 – juris; Zö/Lückemann Rz 8; aA Kobl MDR 14, 467 f [BGH 14.11.2013 - IX ZR 215/12]: Vergütungsentscheidung für einen anwaltlichen Mediator in einer Familiensache).
II. Beschwerden in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Abs 1 Nr 1b).
Rn 6
Die Neufassung dieser Vorschrift begründet eine umfassende Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit iSd § 23a II (s dort Rn 28); ausgenommen sind nur die Beschwerden in Freiheitsentziehungssachen und den von den Betreuungsgerichten entschiedenen Sachen. So entscheidet das OLG über die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Erbscheinantrags (München FamRZ 10, 2024) und auch über die Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss in einem Erbscheinsverfahren (Köln Beschl v 15.7.10, 2 Wx 101/10 – juris). In Kostenfestsetzungssachen der Beratungshilfe bleibt das LG Beschwerdegericht, weil das Festsetzungsverfahren nach dem RVG keine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist (Köln MDR 11, 258; Frankf NJW-RR 12, 1024 [OLG München 07.02.2012 - 11 W 90/12]; Naumbg Rpfleger 13, 543 [OLG Naumburg 11.03.2013 - 2 Wx 51/12]).