Rn 2

Nach Abs 1 sind für die in Abs 1 Nr 1–7 genannten Sachgebiete ein oder mehrere Zivilsenate zu bilden. Abs 3 bestimmt, dass den Zivilsenaten neben diesen Sachgebieten auch weitere in die Zuständigkeit der Zivilsenate fallende Streitigkeiten (§ 119 I) zugewiesen werden können. Dass nur auf § 119 I und nicht auch auf § 119 III und § 118 verwiesen wird, dürfte auf Redaktionsversehen zurückzuführen sein – in der BegrRegE des G zur Reform des Bauvertragsrechts wird die fehlende Nennung von § 118 nicht thematisiert (BTDrs 18/11437, 46), und die erforderliche Anpassung auch des § 119a wurde offenbar nicht bedacht, als im Gesetzgebungsverfahren die Zuständigkeit für Musterfeststellungsklagen – anders als noch im Gesetzesentwurf geplant – dem OLG übertragen wurde (vgl BTDrs 19/2741, 6). Aus Abs 1 folgt, dass die Präsidien der Oberlandesgerichte zwingend Senate einsetzen müssen, denen die dort genannten Sachgebiete vollständig als Sonderzuständigkeiten zugewiesen werden. Ob für die jeweiligen Sachgebiete ein oder mehrere Senate gebildet werden, einem Senat mehrere dieser Sachgebiete zugewiesen werden oder weitere Zuständigkeiten aus anderen, nicht in § 119a geregelten Sachgebieten hinzukommen, entscheiden weiterhin die Gerichtspräsidien (Fölsch, a.a.O. 167f). Dem Sinn und Zweck des Gesetzes würde es allerdings widersprechen, wenn eine Verteilung eines der in Abs 1 genannten Sachgebiete auf mehrere Senate dazu führt, dass in einzelnen dieser Senate keine nennenswerte Anzahl von Verfahren eingeht und eine Spezialisierung damit faktisch nicht eintreten kann.

 

Rn 3

Die in Abs 1 getroffene Regelung ist eine gesetzliche Zuständigkeitsverteilung. Für die nähere Definition, Eingrenzung und Bestimmung der Sachgebiete sind die Gerichtspräsidien deshalb nicht zuständig (BT-Drs 18/11437, 45). Auch ein Kompetenzkonflikt zu der Frage, ob ein Verfahren zu einem Sachgebiet im Sinne dieser Vorschrift gehört, darf nicht vom Präsidium entscheiden werden. Negative Zuständigkeitskonflikte im Hinblick auf die in Abs 1 genannten Sachgebiete sind analog § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO zu lösen (Fölsch DRiZ 17, 166 f; Klose MDR 17, 793, 795; Zö/Lückemann Rz 2). Die Präsidien der Oberlandesgerichte müssen bei der Geschäftsverteilung deshalb beachten, dass die Entscheidung über die Zuständigkeit durch einen nicht beteiligten Senat erfolgt (Zö/Lückemann Rz 2). Fehler bei der Anwendung der Geschäftsverteilung stellen jedoch nur bei Willkür, nicht schon bei Irrtum, einen absoluten Revisionsgrund iSv § 547 Nr 1 ZPO dar (Zö/Lückemann Rz 3 mwN). Eine Sonderzuständigkeit nach Abs 1 kann sich auch nachträglich aus einer Änderung des Streitgegenstands durch Klageerweiterung ergeben (KG NJW-RR 20, 1464 [OLG Bamberg 09.10.2020 - 3 W 43/20]), nicht aber, wenn nur die Aufrechnung mit einer Forderung aus einem unter die Sonderzuständigkeit fallenden Sachgebiet erfolgt (Schlesw MDR 21, 1388 [OLG Schleswig 01.07.2021 - 2 AR 20/21]). Hat sich ein Senat durch den Parteien bekannt gegebenen Beschluss aufgrund von § 119a Abs 1 für unzuständig erklärt, soll dieser Beschluss analog § 281 Abs 2 S 4 ZPO für den anderen Spruchkörper bindend sein (BGH Beschl v 26.7.22 – X ARZ 3/22 – juris; krit Wagner EWiR 22, 666, 667)

 

Rn 3a

Abs 2 sieht die Möglichkeit für die Landesregierungen oder bei Subdelegation die Landesjustizverwaltungen vor, Senate für weitere Sachgebiete einzurichten. Dabei kann auf landesspezifische Besonderheiten und das jeweilige Fallaufkommen Rücksicht genommen werden.

 

Rn 4

Die in Abs 1 getroffene Regelung orientiert sich bezüglich der Nr 1–5, ebenso wie § 72a Abs 1 Nr 1–5, an in § 348 I S 2 Nr 2 ZPO genannten Sachgebieten und deren Begriffsverständnis (BT-Drs 18/11437, 45f). Auf Grund der gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmung dürfen in Zweifelsfällen weder Anordnungen der einzelnen Justizverwaltungen (zB Verwaltungsvorschriften über die Erhebung von statistischen Daten in Zivilsachen, vgl Fölsch, DRiZ 17, 166) noch Definitionen in Geschäftsverteilungsplänen zur Auslegung herangezogen, vielmehr muss auf das sich aus dem Willen des Gesetzgebers ergebende Begriffsverständnis zurückgegriffen werden. Da die Gesetzesbegründung selbst auf das Begriffsverständnis in § 348 I ZPO Bezug nimmt, kann die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden (vgl dazu § 348 ZPO Rn 6). Vgl bezüglich der einzelnen Sachgebiete § 72a Rn 13–19.

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