Rn 12

Nach stRspr des BVerfG erfordert der materielle Gewährleistungsinhalt des Art 101 I 2 GG, der dem Rechtsuchenden die Gewähr bieten soll, vor einem unabhängigen und unvoreingenommenen Richter zu stehen, dass der Gesetzgeber Vorsorge trifft, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zu entscheidenden Fall nicht mit der ›erforderlichen professionellen Distanz eines Neutralen‹ ggü stehen (BVerfG BayVBl 11, 738 [BVerfG 28.04.2011 - 1 BvR 2411/10]). Deswegen sind Regelungen geboten, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die notwendige Gewähr seiner Unparteilichkeit bietet, von der Mitwirkung an dem Verfahren und insb an der Entscheidung auszuschließen (BVerfG NJW 05, 3410 [BVerfG 02.06.2005 - 2 BvR 625/01] zu §§ 2224 und 26a StPO; NVwZ 05, 1304; StraFO 06, 235). Eine Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfG NJW 12, 3228). Das ist stark vom Einzelfall abhängig. Allein die persönliche Bekanntschaft des Richters mit der Gegenpartei oder eine gemeinsame Vereinsmitgliedschaft reichen nicht aus (Hamm MDR 12, 933, BGH WM 03, 847). Die Erstattung einer Strafanzeige gegen eine Partei oder deren Ankündigung durch einen Richter rechtfertigt nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit, zumal das Gesetz dies in § 149 ZPO ausdr ermöglicht und unter den Voraussetzungen des § 183 GVG sogar gebietet, sofern der Richter die vorhandenen Verdachts- und Entlastungsumstände sorgfältig abgewogen und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BVerfG NJW 12, 3228 [BVerfG 25.07.2012 - 2 BvR 615/11]). Unmutsäußerungen auch salopper bis derber Art, mit welchen ein Richter seiner Enttäuschung darüber Ausdruck verleiht, dass eine Partei trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht zum Verhandlungstermin erschienen ist, sind für sich genommen nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu begründen (Stuttg NJW-RR 12, 960 [OLG Stuttgart 29.03.2012 - 14 W 2/12], ›Schwanz einziehen‹). Dagegen kann ein Richter von einer Partei abgelehnt werden, wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Prozessgegner vertritt (BGH NJW 12, 1890 [BGH 15.03.2012 - V ZB 102/11]) oder wenn der Richter eines Arzthaftungsprozesses in der vom Rechtsstreit betroffenen Klinik dauernd ärztlich behandelt wird (Kobl MDR 12, 428). Als Rechtsuchender ist auch der Ast in einem der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche des Geschädigten einer Straftat dienenden Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff StPO anzusehen (BVerfG NJW 07, 1670 [BVerfG 27.12.2006 - 2 BvR 958/06]). Im bürgerlichen Rechtsstreit wird dem Kl bereits mit Einreichung der Klage durch den § 42 ZPO die Möglichkeit eröffnet, ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit zu stellen. Die Feststellung der Verletzung des Justizgrundrechts iRd Ausschließungs- und Ablehnungsrechts, also insb bei der Zurückweisung von Befangenheitsanträgen, setzt allerdings ebenfalls eine objektiv willkürliche Handhabung durch das Gericht iS einer ›groben Fehlanwendung‹ voraus. Daher kann die Rüge fehlerhafter Besetzung eines Gerichts wegen unrichtiger Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs gegen mitwirkende Richter wegen Besorgnis der Befangenheit im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nur darauf gestützt werden, dass die Zurückweisung des Ablehnungsantrags auf willkürlichen Erwägungen oder einer grdl Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 I 2 GG beruhe (BSG Beschl v 19.2.13 – B 1 KR 70/12 B; BFH/NV 13, 945 [BFH 11.01.2013 - V S 27/12 (PKH)]). Von einer ›willkürlichen Missdeutung‹ kann grds nicht mehr ausgegangen werden, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage auseinandergesetzt hat und seine Auffassung ›nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt‹ (BVerwG NVwZ 08, 1025 [BVerwG 15.05.2008 - BVerwG 2 B 77.07]). Das betrifft auch die Beantwortung der Frage der Zuständigkeit für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch (BFH Beschl v 14.7.08 – VII B 77/08, zur Bedeutung der richterlichen Zuständigkeit BVerfG NJW 91, 2758 zu § 24 III 2 StPO). Allerdings kann eine gröbliche Fehlbeurteilung der (Un)voreingenommenheit iRd Entscheidung über eine Selbstanzeige in eine willkürliche Entziehung des gesetzlichen Richters iSd § 16 S 2 umschlagen (BGH NStZ 17, 720 [BGH 11.07.2017 - 3 StR 90/17]). Soweit die Rspr für gänzlich untaugliche oder rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuche die Entscheidung eines abgelehnten Richters in ›eigener Sache‹ zulässt, kommt dies mit Blick auf Art 101 I 2 GG nur ausnahmsweise in Betracht bei offensichtlicher Rechtsmissbräuchlichkeit oder bei reinen Formalentscheidungen über das Ablehnungsgesuch, bei denen sich jedes Eingehen auf die Sache erübrigt (BGH GRUR-RR 12, 47, Beschl v 12.6.12 – IV ZA 11/12). Das gilt etwa für nach Ergehen einer Sachentscheidung in Reaktion darauf angebrachte Ablehnungsgesuche (§ 4...

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