1. Grundsatz.
Rn 8
§ 17 I 2 GVG begründet eine Rechtswegsperre. So sollen eine doppelte Prozessführung, insb aber abw Entscheidungen verhindert werden. Die Vorschrift verbietet daher, dieselbe Sache während der Rechtshängigkeit (§§ 261 I, 253 I ZPO; 90 I, 81 I VwGO) anderweitig gerichtlich anhängig zu machen. Der Eintritt der Rechtswegsperre setzt daher voraus, dass zeitlich vorgehend dieselbe Sache bereits rechtshängig war (BVerwG Buchholz 300 § 17 GVG Nr 6: Eine der Geltendmachung im Berufungsverfahren zeitlich nachfolgende Klageerhebung beim Verwaltungsgericht begründet keine anderweitige Rechtshängigkeit iSd § 17 I 2). Um dieselbe Sache iSd § 17 I 2 handelt es sich nur bei Identität des Streitgegenstands und der Parteien. § 17 I 2 steht daher der subsidiären Inanspruchnahme des in einem anderen Verfahren Beklagten als Beigeladener in einem weiteren Verfahren nicht entgegen (BSG Urt v 19.5.82 – 11 RA 37/81 –; zur umgekehrten Konstellation LSG Bln/Bbg Urt v 12.6.14 – L 11 VS 17/14 –). Da eine Rücknahme die Rechtshängigkeit der Klage rückwirkend entfallen lässt, wird ein späterer Rechtsbehelf bei Rücknahme des bereits rechtshängigen – sofern die sonstigen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind – nachträglich zulässig (VGH München NJW 05, 1450 [VGH Bayern 03.02.2005 - 22 ZB 05/61]). Die Sperrwirkung entfällt ebf bei Abschluss des Erstverfahrens durch gerichtliche Entscheidung (BSG Breith 14, 601), dann allerdings ggf Unzulässigkeit der Klage wg entgegenstehender Rechtskraft. Umstritten ist, ob das Prozesshindernis bereits entfällt, wenn der Kl in dem älteren Verfahren mit ursprünglich identischem Streitgegenstand durch einseitige Erledigungserklärung von seinem Sachbegehren Abstand nimmt (so VGH München NJW 05, 1450, entgegen BVerwG NVwZ 99, 404 [BVerwG 22.01.1998 - BVerwG 2 C 4/97]). § 17 I 2 GVG lässt auch kein ›anderweitiges‹ Anhängigmachen in einem zweiten Verfahren beim selben Gericht zu.
2. Auswirkungen auf den Prozess.
Rn 9
§ 17 I 2 GVG begründet ein vAw zu beachtendes Prozesshindernis und damit die Unzulässigkeit der zeitlich später erhobenen Klage. Sie ist von dem insoweit unzulässig angerufenen Gericht durch Prozessurteil abzuweisen (BFH ZfZ 07, 71; BGH NJW 98, 231). Ein des ungeachtet ergangenes Sachurteil ist ggf im Rechtsmittelverfahren aufzuheben. Soweit die Nichtbeachtung anderweitiger Rechtshängigkeit nach § 17 I 2 GVG als Verfahrensmangel gerügt wird, bedarf es schlüssiger Darlegung, dass derselbe Streitgegenstand schon anderweitig anhängig gewesen ist (BSG Beschl v 23.10.13 – B 6 KA 34/13 B). Im Falle des Rechtskrafteintritts unterliegt die Entscheidung nach Maßgabe des § 580 Nr 7 ZPO der Restitutionsklage. Die noch nicht zur Rechtshängigkeit der Sache führende Einl eines Mahnverfahrens (§§ 688 ff ZPO) löst vor der Durchführung des streitigen Verfahrens die Sperre noch nicht aus (VGH Kassel UPR 98, 470). Die Sperre gilt auch für Entscheidungen über die Zulässigkeit des Rechtsweges nach § 17a GVG. Die Prüfung der anderweitigen Rechtshängigkeit geht daher der Frage des zulässigen Rechtswegs nach § 17a GVG vor (SächsOVG, Beschl v 5.12.17 – 5 D 69/17, Rz 1; BGH, Beschl. v. 3.7.97 – IX ZB 116/96, juris). Das Gericht, bei dem das Verfahren zuerst rechtshängig geworden ist, hat somit zunächst über die Zulässigkeit zu entscheiden (LSG BW NZBau 08, 265 [LSG Baden-Württemberg 06.02.2008 - L 5 KR 316/08 B]).
3. Besonderheiten.
Rn 10
In bestimmten Verfahrenskonstellationen geht die finanzgerichtliche Rspr davon aus, dass das Prozesshindernis der ›anderweitigen‹ Rechtshängigkeit nach § 17 I 2 GVG nicht durch Abweisung, sondern durch Verbindung beider Sachen auszuräumen ist (BFH DStRE 07, 130 [BFH 26.05.2006 - IV B 151/04] für zwei bei demselben Senat eines FG anhängig gemachte Klagen gegen denselben Steuerbescheid unter Hinweis auf die Rspr des BGH zur mehrfachen Einlegung einer Berufung, BGH NJW-RR 05, 780 [BGH 15.02.2005 - XI ZR 171/04]).