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Die erweiterte Entscheidungszuständigkeit umfasst nach überwiegender – aber nicht unbestrittener – Ansicht nicht die Befugnis zur Entscheidung über eine im Wege der Aufrechnung geltend gemachte bestrittene rechtswegfremde und nicht rechtskräftig festgestellte Gegenforderung. Dabei handelt es sich nicht um einen ›rechtlichen Gesichtspunkt‹ des Rechtsstreits iS § 17 II 1 GVG, sondern um die Geltendmachung eines selbstständigen Gegenrechts unter Erweiterung des Streitgegenstands (BAG NJW 08, 1020; BFH BFH/NV 05, 1759 [BFH 31.05.2005 - VII R 56/04]; BAG NJW 02, 317; OVG Lüneburg NVwZ 04, 1513; BVerwG NJW 99, 160 [BVerwG 07.10.1998 - BVerwG 3 B 68/97]; Nürnbg Beschl v 15.7.15 – 12 W 1374/15 – juris; Frankf NJW 15, 2672 [OLG Celle 22.06.2015 - 2 W 150/15]; München Beschl v 22.10.14 – 13 W 2046/14 – juris; Musielak/Voit/Wittschier § 17 Rz 10; Zö/Lückemann § 17 Rz 10; anders VGH Kassel DVBl 94, 806, sowie unter Bezugnahme auf die Änderung des § 17 II etwa Kopp/Schenke § 40 Rz 45; Kissel/Mayer § 17 Rz 60 für eine fakultative Entscheidungszuständigkeit). Vor dem Hintergrund d § 322 II ZPO, wonach die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, der materiellen Rechtskraft fähig ist, soll vermieden werden, dass ein an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuweisung entscheidungsbefugten Gerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheidet. Ist eine Rechtskraftwirkung nach § 322 II ZPO (ausnahmsweise) nicht möglich, wird daher eine Aufrechnung auch mit rechtswegfremden für zulässig gehalten (BFH Urt v 1.8.17 – VII R 12/16 – juris). Im Übrigen ist im Falle der Aufrechnung die Zuweisung der Gegenforderung zu einem anderen Rechtsweg zu berücksichtigen. Diese ist dann nicht unbeachtlich für die Behandlung des Rechtsstreits, wenn hinsichtlich der Gegenforderung bereits ein Verfahren vor dem zuständigen Gericht geführt wird. In diesen Fällen ist das Verfahren bis zur Klärung des Bestehens der Gegenforderung in diesem Rechtsstreit auszusetzen (§§ 148 ZPO; 94 VwGO). Bei Spruchreife des Klagebegehrens kann durch Vorbehaltsurteil (§ 302 ZPO) entschieden werden; der Aussetzung unterliegt dann nur noch das Nachverfahren über die Aufrechnung (BVerwGE 77, 19; NJW 93, 2255, 99, 160; VGH München Beschl v 27.7.09 – 4 ZB 07.1132). Ist wegen der Gegenforderung noch kein Verfahren anhängig, kann das Verfahren nach Rechtskraft des Vorbehaltsurteils an das zuständige Gericht zur Durchführung des Nachverfahrens (§ 302 IV ZPO) verwiesen werden; einer Aussetzung bedarf es dann nicht (BAG NJW 08, 1020 [BAG 28.11.2007 - 5 AZB 44/07]; München, Beschl v 22.10.14 – 13 W 2046/14 – juris). Entspr den vorgenannten Grundsätzen ist auch die für ganz bestimmte Prozesskonstellationen, etwa iRd Inanspruchnahme eines säumigen Unterhaltspflichtigen wegen gezahlten Unterhaltsvorschusses, denkbare, in § 322 II ZPO nicht vorgesehene Aufrechnung des Kl mit einer unbestrittenen Forderung (hier: Steuererstattung) zu berücksichtigen (Jena FamRZ 09, 1340).