Gesetzestext
(1) 1Gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, kann vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden. 2Bei der Festsetzung von Ordnungsgeld ist zugleich für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu bestimmen, in welchem Maße Ordnungshaft an seine Stelle tritt.
(2) Über die Festsetzung von Ordnungsmitteln entscheidet gegenüber Personen, die bei der Verhandlung nicht beteiligt sind, der Vorsitzende, in den übrigen Fällen das Gericht.
(3) Wird wegen derselben Tat später auf Strafe erkannt, so sind das Ordnungsgeld oder die Ordnungshaft auf die Strafe anzurechnen.
A. Ungebühr.
Rn 1
Unter Ungebühr ist ein vorsätzliches Verhalten von erheblichem Gewicht zu verstehen, das geeignet ist, die Würde des Gerichts erheblich zu verletzen oder die Ruhe und Ordnung einer gerichtlichen Verhandlung zu stören. Die zur sachgerechten Durchführung der Verhandlung notwendige Ordnung besteht in der unmittelbaren Beachtung der Ordnungsvorschriften, der Gewährleistung der ungehinderten Wahrnehmung der Verfahrensrechte für alle Verfahrensbeteiligten, der Schaffung und Sicherung einer Atmosphäre ruhiger Sachlichkeit, Distanz und Toleranz, die allein die erforderliche Suche nach der Wahrheit und dem Recht ermöglicht und dem Ernst der Rechtsprechungstätigkeit gerecht wird (BVerfG NJW 07, 2839; Kissel/Mayer § 178 Rz 10).
B. Zeitlicher Rahmen.
Rn 2
Gegenstand ist die Ungebühr in der Sitzung. Das Fehlverhalten muss verfahrensrelevant sein (Kissel/Mayer § 178 Rz 10). § 178 ermächtigt auch zu Sanktionen wegen Verhaltensweisen unmittelbar vor Sitzungsbeginn (Hamm Beschl v 18.2.05 – 2 Ws 36/05 – BeckRS 05, 06194). Wiederholte Ungebühr iR einer Hauptverhandlung kann jew einzeln geahndet werden (Hamm 2.7.20 – 5 Ws 179/20, BeckRS 20, 19143).
Rn 3
Der Ordnungsgeldbeschluss muss in der Sitzung über die Sache verkündet werden, deren Ordnung er dient und die gestört wurde. Nach dem Ende der Sitzung und dem Aufruf der nächsten Sache kann er seinen Zweck nicht mehr erreichen (Nürnberg NStZ-RR 06, 308). Mit dem Ende der Sitzung endet auch die Sitzungsgewalt des Gerichts, auf welcher die Befugnis zur Festsetzung von Ordnungsmitteln gem § 178 GVG beruht (Hambg NJW 99, 2607 [OLG Hamburg 22.06.1999 - 1 Ws 91/99] mwN). Bei einer Hauptverhandlung von mehrtägiger Dauer kann eine Ungebühr uU auch erst am folgenden Verhandlungstag geahndet werden (Hamm Beschl v 18.2.05 – 2 Ws 36/05 – BeckRS 05, 06194).
C. Personenkreis.
Rn 4
Zuständig ist gem Abs 2 für die in Abs 1 S 1 genannten Verfahrensbeteiligten das Gericht, für nicht Beteiligte der Vorsitzende. Der Personenkreis ist identisch mit dem in § 177 genannten (s § 177 Rn 2).
D. Rechtliches Gehör.
Rn 5
Vor der Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen Ungebühr muss der Betroffene angehört werden. Ihm ist Gelegenheit zu geben, sein ungebührliches Verhalten zu erläutern und zu entschuldigen, zumal seine Erklärung für die Höhe des Ordnungsgeldes oder sogar für ein Absehen von einer Ordnungsmaßnahme von Bedeutung ist. Von einer Anhörung kann nur in krassen Ausnahmefällen abgesehen werden, wenn sie dem Gericht mit Rücksicht auf die Intensität oder die Art der Ungebühr nicht zugemutet werden kann, etwa wenn die Ungebühr und der Ungebührwillen des Betroffenen völlig außer Frage stehen und die Anhörung dem Täter nur zu weiteren Ausfällen Gelegenheit geben würde (Rostock 16.10.18 – 20 Ws 174/18). Die unterbliebene Anhörung kann in der Beschwerdeinstanz nicht nachgeholt werden. Die Anhörung ist ferner entbehrlich, wenn dem Betroffenen die Festsetzung vorher ausdrücklich angedroht oder schon vorher gegen ihn wegen der gleichen Art Ungebühr Maßnahmen oder Ordnungsmittel verhängt worden sind (Kobl NJOZ 07, 3007). Hat der Betroffene die Möglichkeit, ihm rechtliches Gehör zu gewähren, dadurch selbst vereitelt, dass er sich aus dem Sitzungssaal entfernte, braucht das Gericht weitere Gelegenheit zur Stellungnahme nicht zu geben (Zweibr NJW 05, 611 [OLG Zweibrücken 15.12.2004 - 3 W 199/04]; Rostock BeckRS 05, 12845; VGH München NVwZ 03, 883; s aber Köln NJW 08, 2865 [OLG Köln 07.05.2008 - 2 Ws 223/08]: Verlässt der Betroffene nach ungebührlichem Verhalten rasch den Sitzungssaal, könnte aber problemlos zur Rede gestellt werden und ist weiter erreichbar, bleibt eine Anhörung geboten).
E. Verhältnismäßigkeit.
Rn 6
Die Sanktionierung einer Äußerung wegen Ungebühr setzt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraus, dass die Äußerung nach Zeitpunkt, Inhalt oder Form den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf in nicht unerheblichem Ausmaß gestört hat und die Sanktion dem Anlass angemessen ist. Ferner sind die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit gem Art 5 GG und das rechtsstaatlich begründete Recht, zur Rechtsverteidigung eindringliche Ausdrücke benutzen zu dürfen, zu berücksichtigen. Bei einer Spontanreaktion auf ein zumindest aus Sicht des Betroffenen beanstandenswürdiges...