I. Grundsatz.
Rn 7
Über die zuvor genannten völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätze hinaus gibt es aktuell eine Vielzahl einschlägiger, für die BRD verbindlicher völkervertraglicher Vereinbarungen, die über die in §§ 18, 19 GVG genannten Übereinkommen (WÜD/WÜK) hinausgehen bzw diese ergänzen, sei es inhaltlich oder hinsichtlich der jeweiligen Vertragspartner. Nach § 20 II GVG erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit insb nicht auf zwischenstaatliche Organisationen, soweit sie aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen davon befreit sind. Da die Handlungen dieser Organisationen keine Maßnahmen ›öffentlicher Gewalt‹ iSv Art 19 IV GG darstellen (BVerfGE 59, 63, 85 [BVerfG 10.11.1981 - 2 BvR 1058/79]), kann in der Freistellung keine Verletzung des Justizgewährleistungsanspruchs gesehen werden (BAG IPRax 95, 33 [BAG 10.11.1993 - 7 AZR 600/92]; dazu auch EGMR EuGRZ 99, 207 betr Art 6 I EMRK). Die Abk selbst können wiederum Einschränkungen der Immunität oder generelle Verzichtserklärungen für bestimmte Bereiche vorsehen (etwa Art 6 II ESOC-Abk, BGBl II 69, 93, str). Auch insoweit hat § 20 II GVG im Wesentlichen klarstellende Funktion.
II. Beispiele.
1. Europäische Vereinbarung zur Staatenimmunität.
Rn 8
Ausgehend von dem Grundsatz der Staatenimmunität behandelt das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16.5.72, das von der BRD durch Zustimmungsgesetz im Jahre 1990 innerstaatlich in Kraft gesetzt wurde (BGBl II 90, 34, im Folgenden EÜS), eine Vielzahl von Fällen, in denen ein Vertragsstaat im Erkenntnisverfahren vor den deutschen Gerichten keine Immunität genießt. Die – gegenseitigen – Bindungen gelten nach der Präambel für die Unterzeichner des Abk aus dem Kreis der Mitgliedstaaten des Europarats. Art 2 EÜS hebt die Möglichkeit eines (ausdrücklichen) Verzichts auf die Immunität auch nach Entstehen der Streitigkeit hervor (lit c) und Art 3 I EÜS knüpft entspr Konsequenzen auch an die (bewusste) Einlassung zur ›Hauptsache‹. Durch das Abk selbst wird die Immunität der Vertragsstaaten vorbehaltlich anderweitiger Absprachen ausgeschlossen insb für vertraglich übernommene Verpflichtungen aus nicht zwischenstaatlichen Verträgen, die im Gerichtsstaat zu erfüllen sind (Art 4 EÜS). Für das Arbeitsvertragsrecht wird das konkretisiert in Art 5 EÜS, wobei die Staatsangehörigkeit des AN ein wesentlicher Anknüpfungspunkt ist. Weitere Ausschlüsse der Immunität betreffen wirtschaftliche Beteiligungen (Art 6) und Betätigungen (Art 7 EÜS), Patent- und Urheberrecht (Art 8 EÜS), unbewegliches, insb durch Erbschaft erlangtes Vermögen im Gerichtssaat (Art 9, 10 EÜS), Schadensersatzansprüche (Art 11 EÜS) und Schiedsvereinbarungen (Art 12 EÜS). Diese Regelungen sehen iE wiederum Einschränkungen und Ausn vor, die – nach Beantwortung der Vorfrage einer grds Verbindlichkeit des Abk für den jew betroffenen fremden Staat – sorgfältig zu prüfen sind. Die Vertragsstaaten haben am Ende dieses materiellen Teils des EÜS in dessen Art 15 für alle nicht von Ausschlusstatbeständen erfassten Rechtsstreitigkeiten gegenseitig Immunität zugesichert und iÜ in Art 16–19 EÜS spezielle Regeln für die Durchführung der Verfahren vereinbart. Für die Befolgung der ergangenen gerichtlichen Entscheidung macht Art 20 EÜS Einschränkungen. Die Vorschrift enthält einen Vorbehalt hinsichtlich der Wahrung des ordre public (IIa) und insb bzgl der Beachtung der besonderen Vorgaben des Art 16 EÜS iRd Erkenntnisverfahrens (IId). Für den Bereich der Vollstreckung setzt das Abk grds auf die Rechtstreue eines verurteilten Vertragsstaats. Nach Art 21 EÜS hat der Betroffene allerdings die Möglichkeit, eine Klärung der Verpflichtung zur Erfüllung gegen den ausländischen Staat ergangener Entscheidungen anhand der Maßstäbe des Art 20 EÜS vor einem Gericht dieses Staates herbeizuführen. Nach dem Zusatzprotokoll (BGBl II 90, 52 ff, ZPEÜS) ist insoweit alternativ die Anrufung eines gem Teil III ZPEÜS für Streitigkeiten nach dem EÜS einzurichtenden Europäischen Gerichts vorgesehen, wobei insoweit eine gesonderte Ratifizierung erforderlich ist, die sich dem Wortlaut des Art 1 des deutschen Zustimmungsgesetzes indes nicht entnehmen lässt (BGBl II 90, 34, dazu auch Kissel/Mayer § 20 Rz 18). Nach dessen Art 2 I ist Gericht iSv Art 21 EÜS für die BRD das LG am Sitz der Bundesregierung. Das EÜS enthält in seinem Teil V (Art 27 ff) wesentliche allg Bestimmungen. Danach schließt die Vereinbarung für die ›Vertragsstaaten‹ nicht automatisch rechtlich selbstständige juristische Personen ein, und zwar auch dann nicht, wenn sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen (Art 27 I EÜS), wobei ihnen – entspr allg Völkerrecht – allerdings Immunität für den Bereich hoheitlichen Handelns (acta iure imperii) zugebilligt wird (Art 27 II EÜS; vgl zu Art 27 EÜS BGHZ 212, 318, wonach die Berichterstattung einer mit einem öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrag ihres Staates beliehenen ausländischen Rundfunkanstalt nicht iure imperii im Sinne von Art 27 II erfolgt). Das Abk gilt ferner nicht für Verfahren betr die soziale Sicherung, Schäden durch Kernenergie und bei Zöllen, Steuern, Abg...