Rn 70

Nach Abs 7 sind die Anordnungen des Präsidiums Entscheidungen, die mit Stimmenmehrheit getroffen werden. Der frühere Stichentscheid des Vorsitzenden des Präsidiums für den Fall einer bei Verhinderung eines Mitglieds denkbaren Stimmengleichheit ist 1999 abgeschafft worden. Wird eine Stimmenmehrheit nicht erzielt, ist erneut zu verhandeln (Kissel/Mayer § 21e GVG Rz 71; Meyer-Ladewig/Keller § 6 SGG Rz 3b), solange keine Gefahr im Verzug besteht. Anderenfalls ist nach Abs 7 S 2 § 21i II anwendbar, wonach der Vorsitzende im Rahmen seiner Notkompetenz vorläufig allein entscheidet, dieses schriftlich begründet und dem Präsidium unverzüglich zur Kenntnisnahme vorlegt. Diese Notkompetenz bzw Eilentscheidung des Vorsitzenden enthält keine Verlagerung der Geschäftsverteilung auf die Ebene der Gerichtsverwaltung (aA Kissel NJW 00, 460, 461 [BFH 11.08.1999 - XI R 77/97]), weil der Präsident nur in seiner Richtereigenschaft Mitglied des Präsidiums ist und nur in dieser Eigenschaft anstelle des Präsidiums geschäftsverteilende Eilentscheidungen treffen kann (Remus S 150). Die Mehrheitsentscheidung des Präsidiums ist der Präsidiumsbeschluss, wie sich jedenfalls indirekt aus dem Begriff ›Beschlussfähigkeit‹ in § 21i I ableiten lässt.

 

Rn 71

Der Präsidiumsbeschluss selbst ist keine Ermessensentscheidung (missverständlich BGH NJW 95, 2494; VGH Mannheim NJW 06, 2424 f ›organisatorisches Ermessen‹ und DRiZ 11, 141 ›weites Ermessen‹). Er ist nur das arithmetische Ergebnis der Stimmabgaben der Präsidiumsmitglieder, die jeweils für sich eine Ermessensentscheidung darstellen (Remus S 138). Weder der Präsidiumsbeschluss noch die einzelne Stimmabgabe ist ein Verwaltungsakt. Sie unterliegen nicht den Anforderungen zur Begründung behördlicher Entscheidungen (VGH Mannheim NJW 06, 2424, 2426; MüKoZPO/Pabst § 21e GVG Rz 9).

 

Rn 72

Formell ist weder die Mehrheitlichkeit des Inhalts noch der Inhalt des Beschlusses begründungsbedürftig (BVerfG K NJW 08, 909, 910 [BVerfG 28.11.2007 - 2 BvR 1431/07]). Auch das einzelne Präsidiumsmitglied muss seine Ermessensentscheidung im Präsidium (vielleicht in freier Rede zu Gehör bringen, aber) nicht begründen.

 

Rn 73

Das Entscheidungsermessen der Mitglieder impliziert einen Spielraum, der auch Grenzen hat. Ermessensgrenzen ergeben sich aus dem Gesetzesvorrang (etwa aus StPO, ZPO, GVG, DRiG). Der Präsidiumsbeschluss (der Mehrheit) der Präsidiumsmitglieder ist auch als Kollegialentscheidung auf willkürfreie Ermessensbetätigung verwaltungsgerichtlich überprüfbar. Zur gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des Präsidiumsbeschlusses führen deshalb alle Verstöße gegen den Gesetzesvorrang, weil sie eine Ermessensüberschreitung enthalten. Das Recht auf eine willkürfreie Präsidiumsentscheidung der vom Beschl betroffenen Richter ist iÜ allerdings schwer überprüfbar, weil die einzelne Ermessensentscheidung im Präsidium keiner (schriftlichen) Begründung bedarf und nach außen der Verschwiegenheitspflicht unterliegt (s Rn 92; Remus S 140). Lediglich in Ausnahmefällen nach Abs 3 besteht eine Pflicht zur Dokumentation der Änderungsgründe (BVerfG K NJW 09, 1734 [BVerfG 18.03.2009 - 2 BvR 229/09] Rz 27; ferner Rn 40).

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