Rn 91
Die Richteröffentlichkeit gem Abs 8 S 1 kann das Präsidium durch Beschl sowohl für die Beratungen als auch für die Abstimmungen des Präsidiums und zeitweise oder für die gesamte Dauer zulassen.
I. Grundsatz.
Rn 92
Damit hat Abs 8 S 1 am Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Präsidiumssitzung (VGH Mannheim NJW 06, 2424, 2426; aA Schorn/Stanicki S 171 f) abw vom ursprünglichen Gesetzesentwurf (BTDrs 14/997, 4 f) festgehalten.
Rn 92a
Die Teilnehmer der Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums sind zur Verschwiegenheit verpflichtet (s Rn 84). Bereits aus dem Wortlaut von Abs 8 S 1 folgt, dass die Richteröffentlichkeit die Ausnahme darstellt und besonderer Zulassung bedarf. Auch iÜ ergibt sich aus den die Verschwiegenheitspflicht von Richtern regelnden Vorschriften, dass die Meinungsbildung in Gremien, welche unter dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit handeln, grds nicht öffentlich erfolgt. Dies gilt entspr für die gleichgestellte Aufgabenwahrnehmung des Präsidiums (BVerfG NJW 08, 909 f [BVerfG 28.11.2007 - 2 BvR 1431/07] Rz 15). In § 43 DRiG ist bestimmt, dass der Richter über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung iR Recht sprechender Tätigkeit auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses zu schweigen hat. Hieraus wird, auch wenn § 43 DRiG für Präsidiumstätigkeit nicht unmittelbar gilt (BGH NJW 95, 2494 [BGH 07.04.1995 - RiZ (R) 7/94]), ein gesetzgeberisches Leitbild deutlich, wonach die richterliche Meinungsbildung in Gremien nur den zugehörigen Gremienmitgliedern zur Kenntnis zu gelangen hat und hiervon die Öffentlichkeit grds ausgeschlossen ist (BVerfG aaO; BGH aaO). Aus diesem Grund ist davon abzuraten, ein Protokoll zu erstellen, das mehr Informationen enthält als die getroffene und zu veröffentlichende Entscheidung und ggf deren Anlass. Wird gleichwohl ein weitergehendes Protokoll über Inhalt oder Ablauf der Beratungen erstellt, darf es jedenfalls nicht veröffentlicht werden.
Rn 92b
Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit zielt nicht darauf ab, etwas zu verbergen (aA Schorn/Stanicki S 172), sondern darauf, in offener Aussprache und Erwägung der Präsidiumsmitglieder eine optimale Richter- und Sachverteilung zur Gewährleistung einer effizienten Rspr des Gerichts zu bewirken, bei der auch die Informationen und Erwägungen zum Komplex der Eignung, Leistung und Befähigung der zu verteilenden Richter, also ihre Leistungsfähigkeit und ihre kollegiale Verträglichkeit, redlich anzusprechen sind. Denn das Präsidium trägt die Gewähr dafür, im Interesse einer effizienten Rechtspflege ›problematisch besetzte Spruchkörper‹ zu vermeiden.
II. Zulassung der Öffentlichkeit.
Rn 93
Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit kann durch eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung des Präsidiums – der Mehrheit der Präsidiumsmitglieder – auf Vorschlag aus der Mitte des Präsidiums oder auch auf Antrag eines dem Gericht, nicht aber dem Präsidium angehörenden Richters durch Zulassung der Richteröffentlichkeit – aber nur der Richter des Gerichts, ungeachtet ihrer aktiven und passiven Wählbarkeit – aufgehoben werden (Kissel/Mayer § 21e Rz 62). Maßgeblich für diese Ermessensentscheidung sind die sachgerechten Erwägungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Richter, auf die sich die Richterverteilungspflicht des Präsidiums bezieht, über die sich also jedes Mitglied des Präsidiums hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und der kollegialen Verträglichkeit zur Gewährleistung des Zwecks der richterlichen Geschäftsverteilung Gedanken machen muss (Kissel/Mayer § 21e Rz 63), die folglich auch mündlich erörtert werden müssen. Der Ermessensspielraum der Mitglieder des Präsidiums betrifft auch die Dauer der zugelassenen Richteröffentlichkeit (ganz oder zeitweise).
Rn 94
Die Kompetenz, die einmal zugelassene Richteröffentlichkeit gem Abs 8 S 2 iVm § 171b zum Schutz der Persönlichkeitsrechte eines Richters ganz oder tw wieder aufzuheben, ist konsequent, macht das Procedere aber verdächtig, weil es als Verdeckung diskreditiert werden kann. Eine Zulassung der Richteröffentlichkeit birgt die Gefahr, dass sich Präsidiumsmitglieder oder Interessenfraktionen vor und außerhalb der eigentlichen Präsidiumssitzung abstimmen, sodass es zu einer richteröffentlichen Abstimmung des Präsidiums kommt, ohne Aussprache und ohne Verschwiegenheitspflicht, aber eben keineswegs ohne vorherige geheime Absprache. Das Streben, den Präsidiumsentscheidungen eine bessere Transparenz zu verschaffen (Schorn/Stanicki S 172; Kissel NJW 00, 460, 462 [BFH 11.08.1999 - XI R 77/97]), würde verfehlt, erst recht dann, wenn an den vorhergehenden Absprachen nur einzelne, nicht aber alle Präsidiumsmitglieder beteiligt würden, um Mehrheiten zu organisieren. Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Präsidiumssitzung schließt ein solches Procedere nicht sicher aus; er ist aber eine wesentliche Rahmenbedingung dafür, dass alle Präsidiumsmitglieder die Präsidiumssitzung als den maßgeblichen Ort der Beratung und Beschlussfassung in pflichtgemäßer Verantwortung für die Rspr ihres Gerichts anerkennen und wahrnehmen (Remus S 165 f).