Gesetzestext
(1) Bei jedem Landgericht werden, soweit nichts anders bestimmt ist, sowohl Zivil- als auch Strafkammern gebildet.
(2) 1Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung bei einem Landgericht mit mindestens 100 Richterstellen ausschließlich Zivil- oder Strafkammern zu bilden und diesem für die Bezirke mehrerer Landgerichte die Zivil- oder Strafsachen zuzuweisen. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung nach Satz 1 auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
A. Überblick.
Rn 1
Für die Binnenorganisation der Landgerichte gibt das Gesetz nur einen groben Rahmen vor. Aus dem Gebot, Zivil- und Strafkammern bei dem LG zu bilden (Abs 1), lässt sich die Mindestanforderung ableiten, dass bei jedem LG je eine dieser Kammern bestehen muss (Ausn: Abs 2). In der Praxis der Zivilrechtsprechung ist heute vorrangig der Einzelrichter tätig. Die Pflicht zur Einrichtung spezialisierter Kammern gem § 72a soll dieser Tendenz entgegenwirken (vgl § 72a Rn 1; Klose MDR 17, 794).
B. Zahl der Kammern.
Rn 2
Die Zahl der Spruchkörper festzusetzen, ist Sache der Justizverwaltung (BGHSt 20, 132; aA Stanicki DRiZ 76, 80). Soweit diese den Ländern obliegt, ordnen landesrechtliche Regelungen das Bestimmungsrecht. Einige Länder haben die Materie ausdrücklich geregelt (etwa Art 4 AGGVG Bay; § 3 AGGVG Thür), teilweise unter Mitwirkung der Präsidien (§ 18 GerOrgG RP). In den Ländern ohne Neuregelung gilt § 7 II der VO zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20.3.35 (RGBl I, 403) als Landesrecht fort: ›Die Zahl der Zivil- und Strafkammern bei den Landgerichten bestimmt der Landgerichtspräsident; der Oberlandesgerichtspräsident kann ihm Weisungen hierfür erteilen.‹ Rechtspolitisch wurde ein Bestimmungsrecht der Präsidien gefordert (Rudolph DRiZ 76, 206; Müller DRiZ 76, 315; Buschmann DRiZ 83, 473). Die hM gewährleistet aber den Gleichklang der Verantwortung für die personelle Besetzung und die Gerichtsorganisation (Kissel/Mayer Rz 3). Das Bestimmungsrecht der Justizverwaltung darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass das Präsidium einer eingerichteten Kammer keine Mitglieder zuweist (§ 75 Rn 1).
C. Arten von Kammern.
I. Ständige Kammern.
Rn 3
Ständige Kammern sind zunächst die Zivil- und Strafkammern. Zivilkammern iSd § 60 sind auch die Spezialkammern gem § 72a (§ 72a Rn 2) sowie die Kammern für Handelssachen, die gem §§ 93 ff gebildet werden können (vgl § 71 I, § 72 I 1). Eine Reihe bundes- und landesrechtlicher Regelungen sieht darüber hinaus die Bildung besonders besetzter Spruchkörper vor, etwa Kammern für Baulandsachen (§ 220 BauGB), Entschädigungskammern (§ 208 BEG) sowie Berufsgerichte, wie die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen (§ 95 StBerG), die Kammer für Wirtschaftsprüfersachen (§ 72 WPO) und die Kammer für Patentanwaltssachen (§ 85 PatAnwO).
II. Hilfskammern.
Rn 4
Hilfsspruchkörper dienen dazu, einer vorübergehenden Überlastung eines Spruchkörpers zu begegnen. Ist die Überlastung dauerhaft oder ihr Ende nicht absehbar, so kann nur eine ständige neue Kammer eingerichtet werden (BGH NJW 86, 144; 96, 267; StV 22, 799 Rz 31 mwN). Die Einrichtung einer Hilfskammer führt dazu, dass der ursprüngliche Spruchkörper an der Fortführung der Geschäfte im Zuständigkeitsbereich der Hilfskammer verhindert ist. Es handelt sich somit um eine besondere Form einer Vertretungsregelung. Die Einrichtung der Hilfskammer obliegt deshalb – abw von der Einrichtung ständiger Kammern – einzig den Präsidien (vgl § 21e), und sie ist auch während des laufenden Geschäftsjahres möglich (BGH NJW 00, 1580).
III. Auswärtige Kammern.
Rn 5
Auswärtige Spruchkörper können auf der Grundlage landesrechtlicher Regelungen eingerichtet werden, § 13a. Bisweilen werden KfH an auswärtigen Standorten installiert, § 93 I 2.
D. Konzentrationsermächtigung.
Rn 6
Zum 1.1.21 wurde ein neuer Abs 2 eingefügt (BGBl I 19, 2633), der es den Ländern ermöglichen soll, aus gewichtigen justizorganisatorischen Gründen Zivil- oder Strafsachen vollständig an einem größeren LG zu konzentrieren (›Spartengerichte‹). Die Beschränkung auf große LG soll sicherstellen, dass eine Konzentration nur in Ballungsgebieten zugelassen wird (RegE BTDrs 19/13828, 22). In Berlin ist ab 1.1.24 das LG Berlin I für Straf- und das LG Berlin II für Zivilsachen zuständig (G v 9.2.23, GVBl 23, 38; vgl auch Matthiessen ZRP 20, 189).