Gesetzestext
(1) Wird vor der Kammer für Handelssachen eine nicht vor sie gehörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Zivilkammer zu verweisen.
(2) 1Gehört die Klage oder die im Falle des § 506 der Zivilprozessordnung erhobene Widerklage als Klage nicht vor die Kammer für Handelssachen, so ist diese auch von Amts wegen befugt, den Rechtsstreit an die Zivilkammer zu verweisen, solange nicht eine Verhandlung zur Hauptsache erfolgt und darauf ein Beschluss verkündet ist. 2Die Verweisung von Amts wegen kann nicht aus dem Grund erfolgen, dass der Beklagte nicht Kaufmann ist.
A. Überblick.
Rn 1
Die Norm beschreibt das Verfahren, wenn der Kläger einen Rechtsstreit bei der KfH zur Verhandlung gebracht hat, obwohl eine Handelssache nach § 95 nicht vorliegt (Cuypers ZAP Fach 13, 1827). Zur Verhandlung gebracht ist der Rechtsstreit nach Zustellung der Sache mit Ladung oder der Anordnung eines schriftlichen Vorverfahrens. Vor diesem Zeitpunkt können ›Irrläufer‹ – versehentlich an die KfH gelangte Verfahren ohne Antrag – formlos abgegeben werden (MüKoZPO/Pabst Rz 2). Danach ist nur noch eine Verweisung möglich. Nachträgliche Unzuständigkeit regelt § 99. Zu unterscheiden ist die Verweisung auf Antrag des Beklagten und die Verweisung vAw. Die Maßnahme kann den gesamten Verfahrensgegenstand oder Teile desselben betreffen. Ist die Möglichkeit einer – gem § 102 bindenden – Verweisung ausgeschöpft (vgl § 101), kann zur Entscheidung des Kompetenzkonflikts zwischen KfH und Zivilkammer das OLG entspr § 36 I Nr 6 ZPO berufen sein (München OLGR 08, 695).
B. Verweisung auf Antrag des Beklagten (Abs 1).
Rn 2
Antragsbefugt ist nur der Beklagte. Der Kläger kann allenfalls eine Verweisung vAw anregen. Die Erklärung des Beklagten ist auslegungsfähig; der Wille, vor einer Zivilkammer verhandeln zu wollen, muss zum Ausdruck gelangen. Der Antrag ist zeitlich beschränkt (vgl § 101). Der Antrag ist begründet, wenn eine Handelssache nicht vorliegt.
C. Verweisung von Amts wegen (Abs 2).
Rn 3
Die Verweisung vAw setzt zunächst voraus, dass eine Sache vor die KfH gebracht wurde, die keine Handelssache ist. Diese Möglichkeit kommt vornehmlich in Betracht, wenn der Beklagte die Frist zum Antrag auf Verweisung (§ 101 I) hat verstreichen lassen oder sogar mit einer Behandlung durch die KfH einverstanden ist; §§ 38–40 ZPO finden keine Anwendung (§ 94 Rn 2a). Es bestehen aber zwei erhebliche Einschränkungen. Zum einen kann nach der Anordnung des Gesetzes eine Sache nicht deshalb an die Zivilkammer verwiesen werden, weil der Beklagte kein Kaufmann ist. Bedeutung hat dies im Zusammenhang mit § 95 I Nr 1. Ist der Beklagte nicht Kaufmann, so fehlt ein ›beiderseitiges Handelsgeschäft‹. Aus der fehlenden Abstimmung zwischen den beiden Vorschriften hat sich ein Streit entspannt, ob die fehlende Eintragung des Beklagten als Kaufmann ebenfalls zur Anwendung des Abs 2 S 2 führt. Das Fehlen einer Eintragung ist aber etwas anderes als das Fehlen der Kaufmannseigenschaft, so dass mit der wohl hM von der Möglichkeit einer Verweisung auszugehen ist (Hambg TranspR 99, 127; Nürnbg NJW-RR 00, 568; KG NJW-RR 09, 469; aA Ddorf NJW-RR 01, 1220). Die fehlende Kaufmannseigenschaft des Klägers hindert eine Verweisung nicht. Die zweite Einschränkung betrifft den Verfahrensablauf; eine Verweisung ist nur zulässig, solange noch nicht über die Hauptsache verhandelt und darauf ein Beschluss verkündet wurde (vgl auch BGHZ 97, 79). Der Begriff der Verhandlung ist weiter gefasst als in § 137 ZPO und nicht notwendig von einer Antragstellung abhängig. So genügt jedenfalls eine längere Erörterung (Hambg NJW-RR 12, 634 [OLG Hamburg 02.11.2011 - 5 W 115/11]). Beschlüsse, die wie PKH oder Streitwertfestsetzung nicht auf der Verhandlung beruhen, sondern ihrer Vorbereitung dienen, vermögen die Einschränkung noch nicht zu begründen (Kissel/Mayer Rz 6). – Streitig ist, ob die KfH ein Ermessen ausübt, oder zur Verweisung verpflichtet ist. Für ein Ermessen spricht der – von Abs 1 abweichende – Gesetzeswortlaut, welcher der KfH eine Befugnis einräumt (MüKoZPO/Pabst Rz 12; aA Zö/Lückemann Rz 5).
D. Trennung und Verweisung.
Rn 4
Bei der objektiven Klagehäufung kann es vorkommen, dass nicht alle Begehren als Handelssache zu qualifizieren sind. In diesem Fall kann der gesamte Rechtsstreit verwiesen werden. Um aber der KfH nicht die Zuständigkeit für den Teil zu benehmen, der Handelssache ist, und um dem Kläger nicht das Wahlrecht aus der Hand zu nehmen (MüKoZPO/Pabst Rz 8), kommt auch eine Trennung in Betracht. In diesem Fall sind die Teile zu verweisen, die nicht vor die KfH gehören. Bei der subjektiven Klagehäufung wird der Rechtsstreit des Beklagten, der nicht Kaufmann ist, in dem ihn betreffenden Umfang auf seinen Antrag an die Zivilkammer verwiesen. Auch in diesem Fall ist nach § 145 ZPO zu trennen. – Abs 2 regelt weiter den Sonderfall, dass eine Widerklage erhoben wird, die nicht vor die KfH gehört. Auch in diesem Fall ist die Widerklage – entgegen dem Gesetzeswortlaut – abzutrennen und an die Zivilkammer zu verweisen, um nicht das Wahlrecht des Klägers zu entwerten (Kissel/Mayer Rz 5; ...