Gesetzestext
(1) Kann weder der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes festgestellt noch die Zuständigkeit gemäß Artikel 10 bestimmt werden, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem sich das Kind befindet.
(2) Die Zuständigkeit nach Absatz 1 gilt auch für Kinder, die Flüchtlinge oder aufgrund von Unruhen in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts ihres Landes Vertriebene sind.
Rn 1
Art 11 enthält die erste – Art 7 I nachrangige – Auffangzuständigkeit. In Ermangelung eines feststellbaren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes (s dazu Art 7 Rn 2) wird auf den schlichten Aufenthalt abgestellt (zum etwaigen ›Wanderleben‹ eines Kindes EuGH FamRZ 09, 843) Praktisch ist va an Fälle zu denken, in dem ein Kind ohne Papiere aufgefunden wird und sich nicht zu seiner Herkunft äußern kann oder (bei älteren Kindern) will. Die sprachlich verunglückte Norm des Art 11 stellt nunmehr klar, dass diese Vorschrift nur gilt, sofern das Kind zuvor einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hatte. Ansonsten gilt das KSÜ (Schulz FamRZ 20, 1141, 1142). Allerdings erfordert dies die Feststellung der tatsächlichen Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts. Ein Grenzübertritt allein mag nicht genügen. Unanwendbar bleibt Art 11 bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat (Kobl FamRZ 17, 1229). Art 11 II stellt Kinder gleich, die Flüchtlinge oder Vertriebene sind. Flüchtlingskinder geben ihren gewöhnlichen Aufenthalt idR mit ihrer Flucht auf. Zum Flüchtlingsbegriff s das Genfer Flüchtlingsabkommen vom 18.7.51 (BGBl II 54, 619) iVm Art I des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.67 (BGBl II 69, 1923; eingehend Baetge StAZ 16, 289; s.a Menne FamRZ 16, 1223). Wirtschaftsflüchtlinge fallen allerdings nicht darunter (zur eigenständigen Prüfungspflicht des Gerichts BGH NJW 18, 613 [BGH 20.12.2017 - XII ZB 333/17]).
Rn 2
Diese (Sonder-)Zuständigkeit endet allerdings – keine perpetuatio fori –, sofern das Kind in einem anderen Staat einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet (Staud/Pirrung Art 13 Brüssel IIa-VO Rz C 84; aA NK-BGB/Gruber Art 13 Brüssel IIa-VO Rz 5).