Rn 2
Nach Art 29 II hat das den HKÜ-Antrag abweisende Gericht vAw das Formblatt im Anhang I auszufüllen; erstinstanzlich der Richter, zweitinstanzlich der Vorsitzende des Familiensenats (§ 39 I IntFamRVG). In der Entscheidung sollen die maßgeblichen Art des HKÜ, auf die die Entscheidung gestützt wird, benannt werden (Erw 48 S 1). Auf die Rechtskraft der ablehnenden Entscheidung kommt es – wie bisher (EuGH FamRZ 08, 1729 [Rinau] – nicht an (Erw 48 S 2). Eine Zustellung an die Parteien hat – zwingend – zu erfolgen. Die förmliche Zustellung ist wegen der Berechnung der Dreimonatsfrist des Art 29 V zwingend; eine Rechtsbehelfsbelehrung nach § 39 FamFG ist allerdings nur dann angezeigt, sofern die Bescheinigung einem Beschluss iSv § 38 FamFG gleichkäme; in diesem Fall lautet die Rechtsbehelfsbelehrung: ›Die Ausstellung dieser Bescheinigung ist nicht anfechtbar.‹ § 39 IntFamRVG sieht eine Anfechtbarkeit nicht vor; dies zeigt auch der Vergleich mit § 48 Abs 4 IntFamRVG, wonach nur in bestimmten Fällen der Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung mit Rechtsmitteln angefochten werden kann. Sofern eine Partei einen ausdrücklichen Antrag stellt, ist die Ausstellung der Bescheinigung in einer anderen Amtssprache nach Art 29 II 3 möglich (eingeschränktes Ermessen). Allerdings besteht nach Art 29 II 4 keine Verpflichtung zur Übersetzung oder Transliteration der übersetzbaren Inhalte der Freitextfelder. Über die Website des EJN-Gerichtsatlas (https://online-forms.e-justice.europa.eu/online-forms/brussels-iib-regulation-matrimonial-matters-and-matters-parental-responsibility-forms_de) können die Bescheinigungen in Deutsch ausgefüllt und in den anderen EU-Amtssprachen gedruckt werden.
Rn 3
Art 29 Brüssel IIb-VO sieht dabei in den Abs 3 bzw 5 zwei Alternativen vor:
Alt 1 (Abs 3): Hat das HKÜ-Gericht Kenntnis von einem bereits im Ursprungsmitgliedstaat anhängigen Sorgerechtsverfahren, so hat es binnen eines Monats Abschrift der ablehnenden Entscheidung, die Bescheinigung nach Formblatt Anhang I sowie wesentliche bzw sachdienliche Unterlagen, insb das Sitzungsprotokoll an das bereits mit einem Sorgerechtsverfahren befasste Gericht des anderen Mitgliedstaats, entweder an dieses direkt oder über die Zentralen Behörden, zu übersenden. Übersetzungen müssen bei der Vorgehensweise nach Art 29 III nicht beigefügt werden; allerdings kann das Gericht des Ursprungmitgliedstaats nach Art 29 IV eine der Parteien auffordern, notwendige Übersetzungen der erforderlichen Unterlagen beizubringen.
Alt 2 (Abs 5): Hat das HKÜ-Gericht keine Kenntnis von einem in einem anderen Mitgliedstaat anhängigen Sorgerechtsverfahren, ist nichts Weiteres zu veranlassen. Die erforderlichen Zustellungen nach Art 29 II müssen allerdings vorgenommen worden sein. Allerdings hat dann eine Partei spätestens drei Monate nach Mitteilung der ablehnenden HKÜ-Entscheidung das Gericht im maßgeblichen Mitgliedstaat anzurufen und eine Abschrift der ablehnenden Entscheidung, eine Bescheinigung nach Formblatt Anhang I sowie ggf wesentliche bzw sachdienliche Unterlagen, insb das Sitzungsprotokoll, vorzulegen.
Rn 4
Bei einer daraufhin ergehenden Sorgerechtsentscheidung in der Hauptsache (zwingend!; im Erw 48 S 3 heißt es auf Englisch: ›Should the resulting decision on the substance of rights of custody entail the return of the child‹. ›On the substance‹ meint die Hauptsacheentscheidung), die die Rückgabe des Kindes zur Folge hat, ist diese Entscheidung im (vormaligen) HKÜ-Staat (wie auch in allen übrigen EU-Mitgliedstaaten) privilegiert vollstreckbar, Art 29 VI, Art 42 Abs I lit b, 45 ff. Nach Art 47 I lit b ist auf Antrag einer Partei eine Bescheinigung unter Verwendung von Formblatt Anhang VI auszustellen. Nach § 48 II IntFamRVG ist in Deutschland der Familienrichter bzw Vorsitzende des zuständigen Familiensenats zuständig. In Abkehr zur bisherigen Rspr des EuGH (FamRZ 11, 1239 [Povse]), wonach eine Rückgabeanordnung auch dann vollstreckbar ist, sofern eine endgültige Entscheidung bzgl der elterlichen Sorge noch nicht getroffen ist, erfordert die Anerkennung und Vollstreckung privilegierter Entscheidungen nach Art 42 I lit b iVm Art 29 VI nunmehr ausdrücklich eine Sorgerechtsrechtsentscheidung in der Hauptsache, die die Rückgabe des Kindes zur Folge hat.
Rn 5
Eine isolierte Rückgabeanordnung kann dann nur aufgrund der allgemeinen Regelungen anerkannt und vollstreckt werden (Gruber/Möller IPRax 20, 393, 398). Nach Ablauf der Frist von drei Monaten kann eine auf einer Sorgerechtsentscheidung beruhende Rückgabeverpflichtung des Kindes nach Kap IV Abschnitt 1 vollstreckt werden (Erw 52 S 3).
Rn 6
Die Schaffung spezieller Zuständigkeitsvorschriften (vgl in Deutschland §§ 10, 12 IntFamRVG) wurde empfohlen (Erw 41). Gleichwohl sind sie bedauerlicherweise nicht in der VO verankert worden.