Rn 2
Ebenso wie in Art 3 Brüssel IIa-VO sieht auch Art 3 sieben alternative Gerichtsstände vor (EuGH FamRZ 19, 1989 Rz 28 = ECLI:EU:C:2019:816), die in den sechs Nummern von lit a) mit dem gewöhnlichen Aufenthalt der beteiligten Eheleute zusammenhängen und nur in einer Alternative (lit b) mit der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Art 3 verdrängt in seinem Anwendungsbereich § 98 FamFG, regelt aber nur die internationale Zuständigkeit, nicht die örtliche (hierfür fehlte der EU auch die Gesetzgebungskompetenz). Für die örtliche Zuständigkeit gilt also allein das nationale Recht (§ 122 FamFG). Maßgebend für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Antragstellung – es greifen die Grundsätze der perpetuatio fori. Eine etwaige Verbundzuständigkeit ergibt sich nach allg M aus § 98 III FamFG (Staud/Spellenberg § 98 FamFG Rz 280; vgl auch Sternal/Dimmler § 98 Rz 55 ff).
Rn 3
Lit a beinhaltet sechs Nummern, die gleichberechtigt – und damit nicht vorrangig – neben dem Zuständigkeitsgrund des lit b stehen. IRv lit a kommt es für die Nr I–V nicht auf die Staatsangehörigkeit der beteiligten Eheleute an.
Rn 4
Den in allen Spiegelstrichen in Bezug genommenen gewöhnlichen Aufenthalt definiert die VO nicht. Aufgrund der gebotenen autonomen Auslegung der VO ist dies – ausgehend von der Rspr des EuGH in anderen Bereichen des EU-Rechts – der Ort, den der jeweilige Beteiligte als ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Absicht gewählt hat, ihm Dauerhaftigkeit zu verleihen (EuGH NJW 21, 3771 = ECLI:EU:C:2021:955; Anm Dimmler FamRB 22, 48; ebenso EuGH FamRZ 22, 1466 = ECLI:EU:C:2022:619; Anm Dimmler FamRB 22, 423). Hierbei betont der EuGH (NJW 21, 3771 = ECLI:EU:C:2021:955), dass im Unterschied zu einem Kind, insb einem Kleinkind, dessen Umfeld im Allgemeinen weitgehend ein familiäres ist, das Umfeld eines Erwachsenen notwendigerweise vielfältiger ist und aus einem erheblich breiteren Spektrum von Aktivitäten und mannigfaltigen Interessen, insb beruflicher, soziokultureller, vermögensbezogener, privater und familiärer Art besteht. Der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, ist – anders als beim Wohnsitz – nicht erforderlich. Der EuGH (NJW 21, 3771 = ECLI:EU:C:2021:955) betont dagegen auch die bestehende Absicht, dem Aufenthalt eine Dauerhaftigkeit/Beständigkeit zu verleihen. Im Unterschied wiederum zum einfachen oder schlichten Aufenthalt ist grds ein Aufenthalt von einer Dauer zu verlangen, der nicht nur gering oder vorübergehend sein darf. Allerdings bedeutet das nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsorts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte oder bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestünde. Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird vielmehr grds schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf längere Zeit angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen der Daseinsmittelpunkt sein soll. Der BGH hat den EuGH zur Vorabentscheidung wegen des gewöhnlichen Aufenthalts eines Diplomaten angerufen (MDR 24, 231; Anm Dimmler FamRB 24, 95). Bei einem vorübergehenden Auslandsstudium wird ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts zu verneinen sein (Frankf FamRZ 09, 796; Köln FamRZ 18, 991 [polnische Pflegekraft]). Bei Asylbewerbern kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an (Frankf FamRZ 19, 1532; Kobl FamRZ 16, 995). Bei Flüchtlingen mit ungeklärtem Status ist von einem vorübergehenden Aufenthalt auszugehen.
Rn 5
Die Frage, ob ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt denkbar ist (Schlagwort ›Mallorca-Rentner‹, die sich jew ein halbes Jahr in einem Mitgliedstaat aufhalten oder auch Berufspendler, die sich täglich in zwei Staaten aufhalten), wird nicht einheitlich beantwortet (vgl bspw einerseits Staud/Spellenberg Art 3 Rz 59 f, andererseits NK-BGB/Gruber Art 3 Rz 11 Fn 124; Staud/Mankowski Art 3 HUP Rz 66; High Court Ireland v 27.7.09 – [2009] IEHC 579 – S./S.; zur Problematik vgl auch Schulze IPRax 12, 526: ggf Analogie zu Art 5 I 1 EGBGB). Im Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO sollte angesichts des Erw 1 ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt zugelassen werden, um die Frage der internationalen Zuständigkeit nicht weiter zu verkomplizieren. Zuständig ist dann das zuerst angerufene Gericht des jeweiligen Mitgliedstaates. Nach Ansicht des EuGH (NJW 21, 3771 = ECLI:EU:C:2021:955; krit Anm Dimmler FamRB 22, 48) ist dagegen ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt wegen dem Erfordernis der Rechtssicherheit nicht möglich und deshalb im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Allgemein anerkannt ist hingegen das Nichtvorhandensein eines gewöhnlichen Aufenthalts eines Ehegatten (BGH FamRZ 93, 798; Hausmann Art 3 Rz A 64).
Rn 6
Nr I erfordert, dass beide Eheleute derzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat haben, dessen Gericht angerufen wurde.
Rn 7
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