Gesetzestext
Für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig,
a) |
in dessen Hoheitsgebiet
i) |
beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, |
ii) |
die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, |
iii) |
der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, |
iv) |
im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, |
v) |
der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat, oder |
vi) |
der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist, oder |
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b) |
dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten besitzen. |
A. Überblick über die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen.
Rn 1
Die VO unterscheidet sich von der vormaligen Brüssel IIa-VO hinsichtl der Zuständigkeiten in Ehesachen letztlich nicht. Es wurden wenige strukturelle Veränderungen vorgenommen. Ein sog forum shopping bleibt nach wie vor möglich. Danach kann sich der schnellere (Art 20 Abs 1 führt aufgrund des dort verankerten Prioritätsprinzips zu einem Wettlauf) und damit meist der besser anwaltlich beratene Ehegatte mitunter über die Wahl des zuständigen Gerichts den Zugang zu dem ihm günstigeren materiellen Recht verschaffen, sofern diejenigen angerufenen Gerichte des EU-Mitgliedstaats infolge der Nichtgeltung bindender Regelungen ihr eigenes Internationales Privatrecht anwenden (vgl Dimmler FamRB 16, 43). Auch der Grundsatz der perpetuatio fori bleibt erhalten.
Rn 1a
Die Art 3–6 benennen die Umstände, aus denen sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Ehesachen ergeben kann. Die Zuständigkeiten der VO greifen auch dann, wenn ein Angehöriger eines Drittstaates – also ein Ausländer, der keinem Mitgliedstaat angehört – beteiligt ist oder wenn ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nichtmitgliedstaat hat (EuGH NJW 19, 415 Rz 41 = ECLI:EU:C:2018:835; BGH FamRZ 08, 1409).
B. Regelungsgehalt.
Rn 2
Ebenso wie in Art 3 Brüssel IIa-VO sieht auch Art 3 sieben alternative Gerichtsstände vor (EuGH FamRZ 19, 1989 Rz 28 = ECLI:EU:C:2019:816), die in den sechs Nummern von lit a) mit dem gewöhnlichen Aufenthalt der beteiligten Eheleute zusammenhängen und nur in einer Alternative (lit b) mit der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Art 3 verdrängt in seinem Anwendungsbereich § 98 FamFG, regelt aber nur die internationale Zuständigkeit, nicht die örtliche (hierfür fehlte der EU auch die Gesetzgebungskompetenz). Für die örtliche Zuständigkeit gilt also allein das nationale Recht (§ 122 FamFG). Maßgebend für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Antragstellung – es greifen die Grundsätze der perpetuatio fori. Eine etwaige Verbundzuständigkeit ergibt sich nach allg M aus § 98 III FamFG (Staud/Spellenberg § 98 FamFG Rz 280; vgl auch Sternal/Dimmler § 98 Rz 55 ff).
Rn 3
Lit a beinhaltet sechs Nummern, die gleichberechtigt – und damit nicht vorrangig – neben dem Zuständigkeitsgrund des lit b stehen. IRv lit a kommt es für die Nr I–V nicht auf die Staatsangehörigkeit der beteiligten Eheleute an.
Rn 4
Den in allen Spiegelstrichen in Bezug genommenen gewöhnlichen Aufenthalt definiert die VO nicht. Aufgrund der gebotenen autonomen Auslegung der VO ist dies – ausgehend von der Rspr des EuGH in anderen Bereichen des EU-Rechts – der Ort, den der jeweilige Beteiligte als ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Absicht gewählt hat, ihm Dauerhaftigkeit zu verleihen (EuGH NJW 21, 3771 = ECLI:EU:C:2021:955; Anm Dimmler FamRB 22, 48; ebenso EuGH FamRZ 22, 1466 = ECLI:EU:C:2022:619; Anm Dimmler FamRB 22, 423). Hierbei betont der EuGH (NJW 21, 3771 = ECLI:EU:C:2021:955), dass im Unterschied zu einem Kind, insb einem Kleinkind, dessen Umfeld im Allgemeinen weitgehend ein familiäres ist, das Umfeld eines Erwachsenen notwendigerweise vielfältiger ist und aus einem erheblich breiteren Spektrum von Aktivitäten und mannigfaltigen Interessen, insb beruflicher, soziokultureller, vermögensbezogener, privater und familiärer Art besteht. Der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, ist – anders als beim Wohnsitz – nicht erforderlich. Der EuGH (NJW 21, 3771 = ECLI:EU:C:2021:955) betont dagegen auch die bestehende Absicht, dem Aufenthalt eine Dauerhaftigkeit/Beständigkeit zu verleihen. Im Unterschied wiederum zum einfachen oder schlichten Aufenthalt ist grds ein Aufenthalt von einer Dauer zu verlangen, der nicht nur gering oder vorübergehend sein darf. Allerdings bedeutet das nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsorts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte oder bis dahin der frühere gewöhnlich...