Gesetzestext
(1) Beim rechtmäßigen Umzug eines Kindes von einem Mitgliedstaat in einen anderen, durch den es dort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt, verbleibt abweichend von Artikel 7 die Zuständigkeit für eine Änderung einer vor dem Umzug des Kindes in jenem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über das Umgangsrecht nach dem Umzug drei Monate lang bei den Gerichten des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, wenn sich die laut der Entscheidung umgangsberechtigte Person weiterhin gewöhnlich in dem Mitgliedstaat des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes aufhält.
(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die umgangsberechtigte Person im Sinne des Absatzes 1 die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes dadurch anerkannt hat, dass sie sich an Verfahren vor diesen Gerichten beteiligt, ohne ihre Zuständigkeit anzufechten.
Rn 1
Art 8 geht Art 7 I vor (s Art 7 II und Art 7 Rn 1), betrifft nur Umgangsrechtssachen und fingiert eine Zuständigkeitsfortdauer bei einem Aufenthaltswechsel des Kindes innerhalb der Mitgliedstaaten. Grund hierfür ist die Annahme, dass sich das Kind binnen drei Monaten noch kaum im neuen Staat eingelebt haben kann und daher das Gericht im Ursprungsstaat regelmäßig während dieser Übergangszeit noch bessere Kenntnisse über die Lebensumstände des Kindes hat. Außerdem wird dem Umzug zu Zwecken eines kurzfristigen forum shopping (zum Begriff s Art 3 Rn 3) entgegengewirkt.
Rn 2
Bei einem rechtmäßigen – sonst findet Art 9 Anwendung – Umzug eines Kindes von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, durch den das Kind dort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt (s dazu Art 7 Rn 2), bleiben die Gerichte des früheren Aufenthaltsstaates für die Dauer von drei Monaten für eine Abänderung einer bestehenden – nicht aber für eine erstmalige – Umgangsregelung zuständig, wenn sich die umgangsberechtigte Person dort weiterhin gewöhnlich aufhält (s dazu Art 3 Rn 4). Unerheblich ist, welcher Elternteil die Änderung der Entscheidung begehrt. Auch ein Abänderungsbegehren in der Rechtsmittelinstanz ist ausreichend.
Rn 3
Die Vorschrift findet dagegen keine Anwendung auf noch nicht abgeschlossene Verfahren; es verbleibt bei der Zuständigkeitsfortdauer des Art 7 I (vgl OGH Wien v 23.10.07 – 3 Ob 213/07 f).
Rn 4
Sofern das Kind im neuen Mitgliedstaat – ausnahmsweise – noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat, aber auch im alten Staat kein gewöhnlicher Aufenthalt fortbestehen sollte, ist Art 8 entspr heranzuziehen (Coester-Waltjen FamRZ 05, 241, 245).
Rn 5
Für die Dreimonatsfrist ist auf den Tag nach dem tatsächlichen Umzug des Kindes in den Mitgliedstaat seines neuen gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen (EuGH FamRZ 23, 1199 = ECLI:EU:C:2023:364; Anm Dimmler FamRB 23, 317). Die Dreimonatsfrist berechnet sich ab Kenntnis vom Zeitpunkt der tatsächlichen Ortsveränderung; es genügt die rechtzeitige Anrufung des Gerichts iSv Art 17 (München FamRZ 11, 1887).
Rn 6
Art 8 I entfaltet keine Sperrwirkung für andere Fragen der elterlichen Verantwortung, sodass die internationale Zuständigkeit hierfür gesondert nach den Art 7 und 9 ff zu prüfen ist. Auch ein grenzüberschreitender Zuständigkeitstransfer nach Art 12 bzw 13 bleibt möglich (EuGH FamRZ 23, 1199 = ECLI:EU:C:2023:364; Anm Dimmler FamRB 23, 317). Art 8 gilt nach hM nicht für Umgangsvereinbarungen. Art 2 I definiert den Begriff der Entscheidung ausdrücklich. Freilich genügt aber ein zum Beschl erhobener oder sonst erkennbar von einem Gericht oder einer hierfür ermächtigten Behörde ausdrücklich(!) gebilligter Vergleich (in Deutschland § 156 II FamFG).
Rn 7
Art 8 II erfasst die rügelose Einlassung. Für eine Anfechtung iS dieses Abs genügt die schlichte Rüge mangelnder internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.