Rn 2

Nach dem Gesetzestext stellt die Basis für den Schlichtungsvorschlag durch den Streitmittler ›die sich aus dem Streitbeilegungsverfahren ergebende Sachlage‹ dar. Dies ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Der Streitmittler soll also den gesamten Inhalt des Parteivorbringens beider Seiten sowie das Ergebnis einer etwaigen Beweisaufnahme in seine Überlegungen einbeziehen. Damit ist der Schlichtungsvorschlag zwar weniger als ein gerichtliches Urteil oder ein bindender Schiedsspruch, aber deutlich mehr als eine Aufzählung denkbarer Lösungsmöglichkeiten ohne Festlegung durch den Streitmittler. Der Schlichtungsvorschlag ist das Ergebnis einer persönlichen Bewertung der Sach- und Rechtslage durch den Streitmittler. Er muss den Vorschlag begründen (§ 19 I 3) und sich daher mit ihm identifizieren.

 

Rn 3

Der Schlichtungsvorschlag muss in der jeweiligen Verfahrensordnung vorgesehen sein (§§ 5, 19 I 1). Bei aller Offenheit der Art der Streitbeilegung wird damit den Parteien vor Augen geführt, welches Verfahren im Einzelnen und welche konkrete Durchführung in Betracht kommen kann (§ 5 I 2). Im konkreten Fall der Schlichtung wird damit den Parteien von Anfang an vor Augen geführt, dass ein zu erwartender Vorschlag des Streitmittlers dessen persönliche Überzeugung vom Sachverhalt und von der Rechtslage enthält. Dieser Vorschlag kann von den Parteien nur angenommen oder abgelehnt werden.

 

Rn 4

Die sich aus dem Streitbeilegungsverfahren ergebende Sachlage enthält keine Festlegung für das Verhalten des Streitmittlers. Nach der Gesetzesbegründung (BTDrs 18/5089, S 62) kann er sich auf das Vorbringen beider Streitparteien stützen (Beibringungsgrundsatz), der Streitmittler kann aber auch Amtsermittlung betreiben (Untersuchungsgrundsatz). Insbesondere ist der Streitmittler frei, Fragen zu stellen, Konkretisierung und Ergänzung von Vorbringen zu verlangen sowie die Beibringung von Unterlagen zu fordern.

 

Rn 5

Nicht geregelt ist im Gesetz die Frage, ob der Streitmittler eine Beweisaufnahme durchführen kann. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass die jeweilige Verfahrensordnung die Erhebung von Beweisen durch den Streitmittler vorsehen kann, schränkt dies allerdings dahin ein, dass das Einverständnis der Parteien vorliegen müsse (BTDrs 18/5089, S 63). Angesichts der freien Stellung des Streitmittlers und der Möglichkeiten, in der jeweiligen Verfahrensordnung die einzelnen Fragen des Verfahrensablaufs zu regeln, ist der Auffassung grundsätzlich zuzustimmen, dass nach dem Inhalt der Verfahrensordnung der Streitmittler eine Beweisaufnahme durchführen kann. Das Verlangen der Gesetzesbegründung nach Einverständnis beider Parteien kommt im Gesetzestext nirgends zum Ausdruck und dürfte eine zu enge Interpretation sein. Es ist nicht überzeugend, dass der Streitmittler die Verwertung von Urkunden oder den Augenschein sowie die Befragung eines Zeugen gegen den Willen der Gegenseite nicht vornehmen können soll. Einschränkungen bei der Beweisaufnahme ergeben sich freilich dadurch, dass der Streitmittler nicht die zivilprozessualen Möglichkeiten in Anspruch nehmen kann, das Erscheinen und die Aussage eines Zeugen zu erzwingen. Ebenso wenig kann der Streitmittler die Anordnung einer Urkundenvorlage im Sinne von § 142 ZPO verfügen. Er ist vielmehr in allen Fällen der Beweisaufnahme auf die freiwillige Mitwirkung der Parteien angewiesen. Aus der Weigerung einer Partei oder dritter Personen, an einer Beweisaufnahme mitzuwirken, kann der Streitmittler allerdings Rückschlüsse für seine Einschätzung des Verfahrensergebnisses entnehmen.

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