Prof. Hilmar Raeschke-Kessler
Rn 75
Bestandteil des nationalen materiell-rechtlichen op sind alle gesetzlichen Verbote, die bei einem Verstoß zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach §§ 134, 138 BGB führen. Hierzu gehören ohne Weiteres die Verbotsnormen des deutschen Kartellrechts §§ 1, 19–21 GWB (BGH 27.9.22 – KZB 75/21, juris Rz 15–17) und des EU-rechtlichen Kartellrechts aus Art 101, 102 AEUV, früher Art 81, 82 EGV (vgl EuGH, Slg 06, I – 6653 Rz 31 – Manfredi). Eine bloße Evidenzkontrolle des Schiedsspruchs durch das OLG sichert nicht die effektive Durchsetzung des Kartellrechts. Ein Schiedsspruch, dessen Inhalt mit derartigen Verbotsnormen unvereinbar ist, ist nach § 1059 II 2b aufzuheben. Ist ein Schiedsspruch materiell unrichtig, ist die Vollstreckbarerklärung auch dann zu versagen, wenn der Gläubiger die Unrichtigkeit kennt und zusätzlich besondere Umstände bestehen, die die Erlangung oder die Ausnutzung des Schiedsspruchs als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH 6.10.16 – I ZB 13/15, juris Rz 62). Verletzt der Schiedsspruch Rechte Dritter, hindert das nicht seine Vollstreckbarerklärung (BGH 6.10.16 – I ZB 13/15, juris Rz 62).
Rn 76
Zum materiellen op gehört auch § 87 InsO, der die gleichmäßige und gemeinschaftliche Befriedigung aller Insolvenzgläubiger sicherstellen soll. Das Anmelde- und Feststellungsverfahren nach §§ 174 ff InsO ist zwingende Rechtsfolge von § 87 InsO. Daher verstößt ein Schiedsspruch über eine Insolvenzforderung, die nicht zuvor nach Grund und Betrag zur Insolvenztabelle gem §§ 87, 174, 181 InsO angemeldet, wurde gegen den op und ist deshalb aufzuheben (BGH NJW 09, 1747 [BGH 29.01.2009 - III ZB 88/07] Rz 21–23). Dagegen verstoßen Rechtsfehler des Schiedsgerichts bei der Anwendung von Verjährungsvorschriften nicht gegen den materiellen op (BGH NJW-RR 16, 892 [BGH 10.03.2016 - I ZB 99/14], juris Rz 31). Kein Verstoß liegt auch vor, wenn der Schiedsgericht bei einer ›pay if paid‹-Klausel die Zahlungsklage des Subunternehmers gegen den Generalunternehmer als ›derzeit unbegründet‹ abweist und damit den Weg für eine erneute Schiedsklage offenhält (BGH 5.3.2020 – I ZB 49/19, juris, Rz 10 f).
a) Recht eines Drittstaats.
Rn 77
Materielles zwingendes Recht einer Partei aus einem Drittstaat, das beansprucht auch dann angewendet zu werden, wenn die Parteien deutsches Recht oder ein neutrales wie das schweizerische vereinbart haben, gehört nur dann zum materiellen op wenn es nach deutscher Auffassung mit dessen Grundsätzen übereinstimmt, das gilt zB für das Verbot von Menschenhandel, Korruption oder Geldwäsche, nicht aber für das in vielen Ländern, insb der arabischen Welt, bestehende Verbot, örtliche Handelsvertreter als Berater bei Verträgen mit der jeweiligen Regierung dazwischen zu schalten. Kennt das deutsche Recht oder vom Schiedsgericht nach § 1051 angewandte Recht kein derartiges Verbot, verstößt der Schiedsspruch nicht gegen den op, wenn das Schiedsgericht zwingendes materielles Recht eines Drittstaats nicht angewendet hat.
b) Recht der AGB.
Rn 78
§ 307 I BGB gehört nicht zu den Normen des deutschen Rechts, die durch den op geschützt werden (BGH NJW 09, 1215 [BGH 30.10.2008 - III ZB 17/08] Rz 5). Das ist zu begrüßen. Das deutsche AGB-Recht, insb aber dessen Inkorporierung in das BGB durch das Schuldrechtreformgesetz von 2001, gilt als überzogen, soweit es sich um den reinen Wirtschaftsverkehr handelt, also nicht um Rechtsbeziehungen mit Verbrauchern (statt aller: PWW/Berger § 307 Rz 33 ff). Schiedssprüche betreffen nahezu ausschließlich Streitigkeiten aus reinen Wirtschaftsbeziehungen. Verbraucher sind nur selten an Schiedsverfahren beteiligt. Ist dies ausnahmsweise doch der Fall, kann – ausschließlich zum Schutz des Verbrauchers – der Kernbereich des AGB-Rechts innerhalb des BGB zum ordre public gehören.
c) Insolvenzanfechtung.
Rn 79
Der materiell-rechtliche op ist auch nicht verletzt, wenn der Schiedsspruch den Schuldner/Drittschuldner zur Zahlung einer Forderung verurteilt, die möglicherweise der Insolvenzanfechtung unterliegt (BGH NJW-RR 08, 558 Rz 13). Denn Ansprüche aus einer Insolvenzanfechtung werden von der Schiedsvereinbarung nicht erfasst (BGH NJW-RR 08, 558 [BGH 17.01.2008 - III ZB 11/07] Rz 17). Der Insolvenzverwalter kann die Insolvenzanfechtung ggü dem Drittschuldner vor den staatlichen Gerichten durchsetzen.
d) ›Geldstrafe‹.
Rn 79a
Verhängt ein echtes Schiedsgericht des DFB gegen einen Fußballverein eine ›Geldstrafe‹, so dient dies nicht der Ahndung und Sühne von früherem Fehlverhalten des Vereins, sondern soll den künftigen ordnungsgemäßen Spielbetrieb sichern. Hierin liegt kein Verstoß gegen den op; ebenso wenig ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Der DFB verfolgt den legitimen Zweck, Zuschauerausschreitungen zu unterbinden, um die Gewaltfreiheit des Fußballs zu sichern (BGH 4.11.21 – I ZB 54/20, = NJW 22, 245 Rz 28, 37 und 41).