Prof. Hilmar Raeschke-Kessler
Rn 37
Die meisten völkerrechtlichen Investitionsschutzverträge – ISV – verpflichten die jeweiligen Gaststaaten, Streitigkeiten mit einem Investor aus einem anderen Staat durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen, wenn der Investor die staatlichen Gerichte des Gaststaates nicht anrufen möchte. Der EuGH hat mit Urt v 6.3.18 – C-284/16 Rz 62 (Achmea) entschieden, dass Schiedsklauseln in Investitionsschutzverträgen zwischen Mitgliedstaaten der EU mit Art 267, 344 AEUV unvereinbar und deshalb unwirksam seien. Der BGH hat deswegen einen auf der Grundlage des niederländisch-slowakischen ISV in Frankfurt ergangenen Schiedsspruch zugunsten des niederländischen Investors Achmea gem § 1059 II Nr. 1 a aufgehoben (Beschluss v. 31.10.18 – I ZB 2/15, juris Rz 27). Gegen den BGH-Beschluss ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden. Die Entscheidung hierüber wird für 2024 erwartet (Stand: Januar 2024). Der BGH hat in Kenntnis der Verfassungsbeschwerde seinen Beschluss von 2018 bestätigt und ausgeführt, die Annahme sei gerechtfertigt, dass der EuGH an seiner Auffassung im Achmea-Urteil festhalten werde (BGH 17.11.21 – I ZB 16/21, juris Rz 24). Die EU hat am 5.5.20 ein Übereinkommen zur Beendigung bilateraler ISV zwischen den Mitgliedstaaten geschlossen, dass 2021 vom Bundestag ratifiziert worden ist (BGBl II 21, S 3). ISV-Schiedssprüche zwischen einem Mitgliedstaat und einem Investor aus einem anderen Mitgliedstaat können daher nicht mehr nach § 1060 für vollstreckbar erklärt werden. Eine Vollstreckbarerklärung wäre ein Verstoß gegen den deutschen und den EU-rechtlichen ordre public nach § 1059 II 2 b (s Rn 63).
Rn 37a
Der EuGH hat sein Achmea-Urteil ohne nähere weitere Begründung auch auf intra-EU Schiedsverfahren angewendet, die auf der Grundlage multilateraler ISV stattgefunden haben oder stattfinden (Urt v 2.9.21 – C 714/19 = ECLI:EU:C:2021:655, Komstroy; v 26.10.21 – C 109/20 = ECLI:EU:C:2021:875, PL Holding; v 21.1.22 – C 638/19 P = ECLI:EU:C:2022:50, European Food; v 21.9.22 – C 333/19 = ECLI:EU:C:2022:749, Romatsa). Der BGH hat sich dem mit mehreren Beschlüssen vom 27.7.23 angeschlossen (I ZB 43/22, I ZB 74/22, I ZB 75/22). Er hat wegen eines von ihm angenommenen Vorrangs des EU-Rechts vor dem Völkerrecht die Sperren aus Art 41 I, 54,55 ICSID-Übereinkommen außer Kraft gesetzt, die eine Nachprüfung eines ICSID-Schiedsspruchs bei dessen Vollstreckbarerklärung durch das Gericht ausschließen. Er hat auf diese Weise in einem Verfahren nach § 1032 Abs 2 die Kompetenz-Kompetenz des ICSID-Schiedsgerichts aus Art 41 I ICSID-Ü beseitigt, selbst für alle Gerichte der Mitgliedstaaten des ICSID-Übereinkommens verbindlich über seine Zuständigkeit entscheiden zu können und Schiedsverfahren auf der Grundlage der Schiedsklausel in Art 26 II ECV für EU-rechtswidrig erklärt (BGH 27.7.23 – I ZB 43/22, juris Rz 65, 67, 100–102). Gegen diesen Beschluss hat das hiervon betroffene Unternehmen Verfassungsbeschwerde eingelegt, deren Schicksal davon abhängen wird, ob die noch offene Verfassungsbeschwerde von Achmea erfolgreich ist (s Rn 37).