I. Anwendungsbereich.
Rn 15
Das schriftliche Verfahren nach Abs 2 als eine Ausnahme zum Grundsatz der Mündlichkeit des Abs 1 gilt in allen Verfahren der ZPO, auch in den besonderen Verfahrensarten. Es gilt ebenfalls in allen Instanzen.
II. Normzweck.
Rn 16
Als eine Durchbrechung des Grundsatzes der Mündlichkeit kommt der Regelung nur die Stellung einer eher selten benutzten Ausnahme zu. Es geht dabei um eine auf reiner Zweckmäßigkeit beruhende Förderung des Verfahrens durch einen besonderen schriftlichen Abschnitt. Die Regelung steht damit neben einigen anderen Durchbrechungen der strikten Mündlichkeit wie § 495a oder § 276 (zu den einzelnen Durchbrechungen s.o. Rn 5). Die einzelnen Regelungen haben unterschiedliche Voraussetzungen und berühren sich regelmäßig nicht.
III. Voraussetzungen.
Rn 17
Die Anordnung des Gerichts, eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen, hat vier Voraussetzungen:
1. Zustimmung der Parteien.
Rn 18
Die Anordnung des Gerichts setzt die Zustimmung beider Parteien in der mündlichen Verhandlung oder in schriftlicher Form voraus, eine fernmündliche Zustimmung genügt nicht (BVerwG NJW 83, 198; BGH NJW 92, 2146, 2147 [BGH 28.04.1992 - XI ZR 165/91]). Das Schweigen auf einen Vorschlag des Gerichts reicht nicht aus (St/J/Kern § 128 Rz 58). Die Zustimmung der Parteien muss zeitgleich vorliegen, es genügt also nicht, wenn die Zustimmung einer Partei zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die andere Partei ihre Zustimmung widerrufen hat (BGH NJW 01, 2479 [BGH 22.05.2001 - X ZR 21/00]). Die Zustimmung ist eine Prozesshandlung. Für sie gilt § 78. Sie ist daher nicht anfechtbar und bedingungsfeindlich. Zum Widerruf der Zustimmung s.u. Rn 19. Im Falle von Streitgenossen bedarf es einer Zustimmung jedes einzelnen Streitgenossen, wobei bei notwendiger Streitgenossenschaft gem § 62 die Zustimmung einer Person für alle übrigen wirkt. In der Zustimmung liegt kein Verzicht auf einen zuvor angetretenen Zeugenbeweis (BGH EWiR 22, 414).
2. Kein Widerruf der Zustimmung.
Rn 19
Gemäß Abs 2 S 1 ist die Zustimmung einer Partei widerruflich, soweit sich eine wesentliche Änderung der Prozesslage ergibt. Eine solche wesentliche Änderung ist anzunehmen bei neuem Vorbringen und neuen Beweismitteln sowie bei Antragsänderung. Ein wirksamer Widerruf löst den rückwirkenden Wegfall des schriftlichen Verfahrens aus, so dass das Gericht seine Entscheidung nur aufgrund mündlicher Verhandlung fällen darf (Musielak/Voit/Stadler § 128 Rz 14). Eine grundsätzliche Beschränkung des Widerrufs ergibt sich daraus, dass ab dem Zeitpunkt, ab dem auch der Gegner zustimmt, die Zustimmungserklärung unwiderruflich ist (BGH NJW 01, 2480 [OLG Koblenz 20.02.2001 - 3 U 530/99]).
3. Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif.
Rn 20
Nach dem Zweck der Vorschrift soll Schriftlichkeit ausnahmsweise angeordnet werden, wenn dadurch eine Förderung des Verfahrens zu erreichen ist. Daraus lässt sich entnehmen, dass eine Anordnung nach Abs 2 nicht zulässig ist, wenn der Rechtsstreit bereits entscheidungsreif ist. Es muss also an der Entscheidungsreife fehlen und das Gericht muss die berechtigte Hoffnung hegen, durch einen schriftlichen Verfahrensabschnitt die Entscheidungsreife fördern zu können.
4. Kein Fristablauf.
Rn 21
Nach Abs 2 S 3 ist eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als 3 Monate verstrichen sind. Zu den Einzelheiten der Fristenfragen s.u. Rn 25.
IV. Verfahren und Entscheidung.
1. Anordnung.
Rn 22
Die Anordnung eines schriftlichen Verfahrens durch das Gericht ergeht im Wege eines ausdrücklichen oder konkludenten Beschlusses, der den abschließenden Zeitpunkt für Schriftsätze alsbald festlegt (Abs 2 S 2). Die Anordnung muss also unverzüglich nach Eingang der letzten Zustimmungserklärung erfolgen. Sie bedarf einer förmlichen Zustellung (§ 329 II 2).
2. Ermessen.
Rn 23
Die Entscheidung des Gerichts über ein schriftliches Verfahren liegt im Ermessen des Gerichts. Die Zustimmung der Parteien ist nicht bindend, sondern lediglich eine Ermächtigung für das Gericht. Das Ermessen ist nach dem Normzweck auszuüben.
3. Entscheidung.
Rn 24
Bei seiner Ermessensentscheidung über die Anordnung des schriftlichen Verfahrens hat das Gericht das gesamte bisherige mündliche und schriftliche Vorbringen der Parteien zu berücksichtigen (BGH MDR 68, 314).
V. Zeitliche Begrenzungen.
Rn 25
Die Entscheidung im schriftlichen Verfahren setzt zunächst voraus, dass die Zustimmung der Parteien nicht mehr als drei Monate zurückliegt. Dabei ist jeweils auf die letzte Zustimmungserklärung abzustellen. Weiterhin setzt die Entscheidung voraus, dass das Gericht einen bestimmten Zeitpunkt festlegt, bis zu dem die Parteien ihre Schriftsätze einreichen können. Ferner wird vom Gericht der Termin zur Verkündung seiner Entscheidung festgelegt.
Das Ende der Schriftsatzfrist entspricht im Normalverfahren dem Schluss der mündlichen Verhandlung. Soweit kurz vor Ende der Frist ein Schriftsatz mit neuem Vortrag eintrifft, muss den Gegner rechtliches Gehör gewährt werden, was in einem solchen Falle wohl eine Verlängerung der Schriftsatzfrist für beide Parteien bedingt (Musielak/Voit/Stadler § 128 Rz 16). Soweit Schriftsätze nach Ablauf der richterlich festgelegten Frist eingehen, gilt § 296a (BVerfG NJW 20, 142). Allerdi...