I. Grundsatz.
Rn 3
Durch den Einsatz und die Förderung von Videokonferenztechnik will der Gesetzgeber Zeit und Kosten einsparen sowie eine Verfahrensbeschleunigung erreichen. Während Videoverhandlungen bis 2019 nur eine sehr seltene Ausnahme waren, hat sich die Praxis 2020/21 unter dem Druck der Corona-Pandemie stark verändert. Hierbei will der Gesetzgeber die Praxis mit dem Entwurf zu § 128a weiter unterstützen. Die Möglichkeit einer Videokonferenz gibt es in allen Verfahren der ZPO und allen Fachgerichtsbarkeiten. Eine Videokonferenz ist ausdrücklich auch im Art 8 EuBagatellVO (VO EG Nr. 861/2007) vorgesehen (s.u. Anhang zu § 1109). Zur Videokonferenz im familiengerichtlichen Verfahren Lorenz MDR 16, 956. Die Norm ist auf alle mündlichen Verhandlungen in Zivilsachen einschließlich der Güteverhandlung anwendbar (Mantz/Spoenle MDR 20, 639; aA Zö/Greger Rz 2). Das ergibt sich zwingend aus § 278 II 4.
II. Mündliche Verhandlung durch Videokonferenz (Abs 1, Abs 2).
1. Grundsatz.
Rn 4
Die Regelung des Abs 1 stellt eine Grundlagennorm dar. Sie enthält in S 1 die allgemeine Klarstellung, dass eine mündliche Verhandlung stets auch als Videokonferenz durchgeführt werden kann. Der Hinweis, dass dies in geeigneten Fällen stattfinden kann, ist keine Einschränkung. Mit dieser Gleichstellung der Videoverhandlung gegenüber einer Verhandlung im Sitzungszimmer des Gerichts ist zugleich klargestellt, dass sämtliche Verfahrenshandlungen einer mündlichen Verhandlung auch iRe Videokonferenz vorgenommen werden können. I 2 enthält eine Definition der Videoverhandlung. Diese ist gegeben, wenn mindestens ein Verfahrensbeteiligter oder mindestens ein Mitglied des Gerichts an der mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung teilnimmt. I 3 zeigt, dass der Begriff des Verfahrensbeteiligten sehr weit zu fassen ist. Die Formulierung ›mindestens‹ macht deutlich, dass die Zahl der Verfahrensbeteiligten und der Mitglieder des Gerichts, die per Bild- und Tonübertragung teilnehmen, ohne Bedeutung ist. Allein der Vorsitzende des Spruchkörpers muss zwingend an der mündlichen Verhandlung im Sitzungszimmer des Gerichts anwesend sein, da er von dort aus die Sitzung leiten muss (III 1). Daher muss die Bild- und Tonübertragung in jedem Fall auch an den Ort des zuständigen Gerichts übertragen werden. Eine Ausnahme hiervon wird die künftige Norm enthalten, die bei Teilnahme sämtlicher Beteiligten an der Bild- und Tonübertragung auch dem Vorsitzenden die Möglichkeit eröffnet, ohne Anwesenheit im Gerichtsgebäude virtuell teilzunehmen.
2. Voraussetzungen.
Rn 4a
Es müssen die technischen Möglichkeiten vorhanden sein, an allen betreffenden Orten Bild und Ton in der Weise zu übertragen, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben, die vorgesehenen Prozesshandlungen vorzunehmen. § 128a ist also nicht erfüllt, wenn nur eine reine Telefonkonferenz (so auch Windau NJW 20, 2753, 2754) oder nur eine reine Bildübertragung möglich wäre. Das Gericht muss die Verhandlung im Wege der Videokonferenz gestatten, wobei I dem Gericht ausdrücklich ein Ermessen einräumt. Die Gestattung kann vAw erfolgen. Ein Antrag oder ein Einverständnis der Parteien ist nicht erforderlich, aber ein Antrag ist zulässig.
Das Einverständnis sonstiger Beteiligter (Urkundsbeamter, Zuhörer) ist nicht erforderlich. Gem IV wird die Übertragung nicht aufgezeichnet. Daher erscheint eine Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten nicht möglich.
Der Ort außerhalb des Gerichtsgebäudes, an dem sich ein Verfahrensbeteiligter im Falle der Videokonferenz befinden, kann ein privater Raum sein und muss nicht öffentlich zugänglich sein (Stadler ZZP 111, 413, 437; Windau NJW 20, 2753, 2754; Resch/Kübra jM 22, 46; aA Zö/Greger § 128a Rz 4; nunmehr wie hier 34. Aufl § 128a Rz 4). Der Grundsatz der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung bezieht sich nur auf den Gerichtssaal. Auch der Grundsatz der Unmittelbarkeit ist im Falle einer Videokonferenz nicht beeinträchtigt. Die Simultanübertragung von Bild und Ton ermöglicht es den zur Entscheidung berufenen Richtern, einen gleichwertigen unmittelbaren Eindruck von dem gesamten Prozessgeschehen und den Personen zu gewinnen, wie im Falle persönlicher Anwesenheit. Liegen die beschriebenen Voraussetzungen für eine Videokonferenz nach I, II vor, so gelten alle Prozessbeteiligten als im Rechtssinne anwesend und geben damit ihre Prozesshandlungen und Erklärungen in der mündlichen Verhandlung ab (Grundsatz der Mündlichkeit). Dementsprechend sind das Verhalten des Gerichts und die Protokollierung der Vorgänge in gleicher Weise vorzunehmen wie bei realer Anwesenheit (ie Prütting AnwBl 13, 330).
3. Erweiterte Anwendung der Norm.
Rn 4b
Der Vorsitzende kann gestatten oder anordnen, dass auch ein Dolmetscher per Videokonferenz an der mündlichen Verhandlung teilnehmen kann (§ 185 Ia GVG). Auch die Beratung und Abstimmung des Gerichts ist per Videokonferenz zulässig (§ 193 GVG). Anträge und Erklärungen können im Wege der Bild- und Tonübertragung auch durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle aufgenommen werden (§ 129a II). Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien (§ 141 I) kann im Wege einer Videokonfe...