I. Begriff.
Rn 3
Die ZPO enthält keine Regelung zum Wohnsitz einer Person. Deshalb ist ein Rückgriff auf die materiell-rechtlichen Regelungen der §§ 7 ff BGB erforderlich, die insoweit einen Bestandteil des Prozessrechts bilden (BGH WM 75, 915; MüKoZPO/Patzina Rz 4; St/J/Roth Rz 2; Zö/Schultzky Rz 3; für das IZPR vgl Rn 15). Das BGB geht in § 7 BGB von dem Grundsatz aus, dass jeder seinen Wohnsitz frei wählen kann (MüKoBGB/Schmitt § 7 Rz 1). Man spricht deshalb von einem selbstständigen oder gewillkürten Wohnsitz (vgl MüKoBGB/Schmitt Rz 1; MüKoZPO/Patzina Rz 6; Zö/Schultzky Rz 3 f). Für bestimmte Personengruppen legt das BGB dagegen den Wohnsitz verbindlich fest (vgl §§ 9, 11 BGB, s näher Rn 8). In diesem Fall handelt es sich um einen unselbstständigen oder gesetzlichen Wohnsitz (vgl MüKoBGB/Schmitt § 7 Rz 1; MüKoZPO/Patzina Rz 17; Grüneberg/Ellenberger § 7 Rz 1). Nach heutiger Auffassung setzt der Begriff des (selbstständigen) Wohnsitzes nach § 7 I BGB neben der objektiven Niederlassung subjektiv einen Domizilwillen des Betroffenen voraus, also den Willen, den Ort der Niederlassung ständig zum Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse zu machen (BGH NJW 06, 1808, 1809 [BGH 28.03.2006 - VIII ZB 100/04]; BayObLG MMR 23, 719 [BayObLG 06.04.2023 - 102 AR 52/22]; MüKoBGB/Schmitt § 7 Rz 9, 19, 23 ff; St/J/Roth Rz 3). Dies erfordert nicht den Willen, den jeweiligen Ort zum räumlichen Mittelpunkt des gesamten Lebens zu machen, wie dies früher vertreten wurde (vgl MüKoBGB/Schmitt § 7 Rz 9; so aber RGZ 67, 191, 193; ebenso heute noch Zö/Schultzky Rz 4; unklar MüKoZPO/Patzina Rz 6). Mit der hier gebrauchten, neueren Begriffsbestimmung des Domizilwillens lässt sich insb die Begründung von Doppelwohnsitzen iSd § 7 II BGB besser erklären (vgl MüKoBGB/Schmitt § 7 Rz 9). Nach allg Grundsätzen ist allein maßgeblich, dass der Wohnsitzgerichtsstand spätestens zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegt (vgl Zö/Schultzky Rz 12; § 12 Rn 10).
II. Begriffsabgrenzung.
Rn 4
Der Wohnsitz einer Person ist mit Ausnahme der gesetzlich angeordneten Wohnsitzregelungen (§§ 9, 11 BGB) an den Ort der ständigen Niederlassung gebunden (§ 7 BGB). Ort iSd § 7 BGB ist dabei die kleinste politische Einheit (BGH WM 10, 439; Grüneberg/Ellenberger § 7 Rz 1), die Mittel- oder der Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse einer Person ist (vgl BGH MDR 62, 380), also idR die Gemeinde/Stadt, dagegen nicht das konkrete Haus oder die konkrete Wohnung (BGH WM 10, 439; BayObLG Rpfleger 90, 73; Köln NJW-RR 03, 864; s PWW/Prütting § 7 Rz 2 f; Grüneberg/Ellenberger § 7 Rz 1; St/J/Roth Rz 3) oder ein Schiff (Staud/Weick § 7 Rz 11; ThoPu/Hüßtege Rz 1; St/J/Roth Rz 3; aA LG Hamburg NJW-RR 95, 183 f [LG Hamburg 23.08.1994 - 302 O 138/]; Grüneberg/Ellenberger § 7 Rz 7). Deshalb ist der Begriff des Wohnsitzes nicht identisch mit dem Begriff des Wohnortes als dem Ort der Wohnung oder des Hauses einer Person (PWW/Prütting § 7 Rz 3; MüKoBGB/Schmitt § 7 Rz 11). Ist eine politische Gemeinde in mehrere Gerichtsbezirke aufgeteilt, so ist der jeweilige durch die Gerichtsbezirksgrenzen umschriebene Gemeindeteil maßgebend (BVerfGE 53, 100, 108 f [BVerfG 15.01.1980 - 2 BvL 1/79]; St/J/Roth Rz 3; MüKoZPO/Patzina Rz 7). Der Wohnsitz einer Person darf auch nicht mit deren Aufenthaltsort gleichgesetzt werden (zum Begriff des Aufenthaltsortes s § 16). Er ist ferner vom möglichen Dienst- oder Amtssitz bestimmter Personen wie zB Soldaten (dazu § 9 BGB, s Rn 13), Richter, Notare und Beamte, und schließlich vom Ort der gewerblichen Niederlassung (vgl § 6 UKlaG) abzugrenzen.
III. Selbstständiger Wohnsitz.
1. Begründung.
Rn 5
Nach der Begriffsbestimmung (s Rn 3) ist die Begründung des selbstständigen Wohnsitzes von der tatsächlichen Niederlassung und einem Domizilwillen abhängig. Das Unterhalten und die Nutzung einer vollständig möblierten Wohnung reichen deshalb für sich genommen noch nicht, um einen Wohnsitz zu begründen (BGH NJW 06, 1808, 1809 [BGH 28.03.2006 - VIII ZB 100/04]). Auch die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift rechtfertigt nicht den Schluss auf einen Wohnsitz (BayObLG MMR 23, 719). Die Wohnsitzbegründung stellt eine geschäftsähnliche Handlung dar (hM; BGHZ 7, 104, 109; BayObLG Rpfleger 90, 73 f; PWW/Prütting § 7 Rz 4, 8; MüKoZPO/Patzina Rz 9). Sie erfordert Geschäftsfähigkeit. Geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen können allein keinen wirksamen Wohnsitz begründen (§ 8 I BGB). Eine Ausnahme gilt für Minderjährige, die verheiratet sind oder waren (§ 8 II BGB). Bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit ist diese nach allg Grundsätzen zu unterstellen (vgl BGH NJW-RR 88, 387 [BGH 25.03.1987 - IVb ARZ 6/87]; BayObLG Rpfleger 90, 73 f; Zö/Schultzky Rz 7). Zur Wohnsitzbegründung bei Kindern s näher Rn 8. Durch Anordnung einer Betreuung (§ 1814 BGB nF) wird die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nicht eingeschränkt, so dass dieser wirksam einen Wohnsitz begründen kann. Anderes gilt nur, wenn der Betroffene geschäftsunfähig ist (§ 104 Nr 2 BGB; vgl BayObLG NJW-RR 93, 460) und bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (vgl § ...