Gesetzestext
(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die Verhandlung.
(2) 1Er erteilt das Wort und kann es demjenigen, der seinen Anordnungen nicht Folge leistet, entziehen. 2Er hat jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen.
(3) Er hat Sorge zu tragen, dass die Sache erschöpfend erörtert und die Verhandlung ohne Unterbrechung zu Ende geführt wird; erforderlichenfalls hat er die Sitzung zur Fortsetzung der Verhandlung sofort zu bestimmen.
(4) Er schließt die Verhandlung, wenn nach Ansicht des Gerichts die Sache vollständig erörtert ist, und verkündet die Urteile und Beschlüsse des Gerichts.
A. Normzweck und Bedeutung.
Rn 1
Die Norm ist im Zusammenhang mit § 139 zu sehen. Spricht der Gesetzgeber dort von der ›materiellen‹ Prozessleitung, so kann man § 136 als ›formelle‹ Prozessleitung bezeichnen (zu den Einzelheiten s.u. Rn 2). Die Förmlichkeiten des Verfahrens insgesamt werden weithin vom Amtsbetrieb geprägt (s Einl Rn 30). Für die mündliche Verhandlung stellt § 136 klar, dass der formale Gang auch insoweit in den Händen des Gerichts liegt, sei es des Einzelrichters oder des Vorsitzenden von Kammer oder Senat. Unter Prozessleitung ist die richterliche Tätigkeit zur Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung zu verstehen. Mittels der Prozessleitung soll ein gesetzes- und zweckmäßiger Verfahrensablauf sichergestellt werden (Musielak/Voit/Stadler § 136 Rz 1). Im Regelfall obliegt sie bei Kollegialgerichten dem Vorsitzenden des Gerichts, es sei denn, die Prozessleitung ist kraft ausdrücklicher Anordnung dem Einzelrichter zugewiesen (§§ 348, 348a, 568). Die Befugnis zur Prozessleitung erstreckt sich, wie aus dem weit gefassten Wortlaut des Abs 1 folgt, auch auf die Güteverhandlung nach § 278 II. Abs 2 S 2 ist inhaltsgleich mit dem früheren § 139 III. Auch darin zeigt sich eine gewisse Nähe von § 136 und § 139. Insgesamt sind für die Prozessleitung die gesetzlichen Möglichkeiten des Richters gem §§ 136, 137 IV, 139, 141 I, 142, 144, 273, 279 III zu beachten.
B. Begriff der Prozessleitung.
I. Formelle Prozessleitung.
1. Überblick.
Rn 2
Abs 1, 2 und 4 treffen Regelungen zur formellen Prozessleitung, die dem Vorsitzenden obliegt. Danach hat er einen ordnungsgemäßen äußeren Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten. Er hat die Verhandlung des jeweiligen Rechtsstreits durch Aufruf der Sache zu eröffnen und den Gang der mündlichen Verhandlung zu bestimmen. Der Vorsitzende erteilt den Parteien und Prozessbevollmächtigten das Wort und kann es im Falle der Missachtung seiner Anweisungen auch wieder entziehen (Abs 2 S 1). Zusammen mit dem Urkundsbeamten trägt er die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Protokollierung (§ 163 I). Er hat die Ordnung in der Sitzung aufrecht zu erhalten (§ 176 ff GVG, Sitzungspolizei). Anordnungen gegen Verfahrensbeteiligte beschließt das Gericht. Der Vorsitzende schließt die Verhandlung und verkündet die Entscheidungen des Gerichts (Abs 4).
2. Worterteilung und -entzug.
Rn 3
Der Vorsitzende hat auf eine disziplinierte und sachliche Erörterung des Sach- und Streitstandes hinzuwirken. Auf Verlangen hat der Vorsitzende auch den Mitgliedern des Gerichts die Ausübung des Fragerechts zu gestatten, ohne dass ihm eine diesbezügliche Zweckmäßigkeitskontrolle zusteht. Im Hinblick auf das Recht zur Worterteilung und -entziehung aus Abs 2 kommt ihm ein Ermessensspielraum zu, ohne dass darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu sehen ist (BGHZ 109, 41). Dieser umfasst nicht das Recht zur Äußerung zu jedem beliebigen Zeitpunkt, sondern erstreckt sich auf die Gewährung des Wortes anlässlich der gesamten mündlichen Verhandlung (Musielak/Voit/Stadler § 136 Rz 4 mwN). Etwas anderes gilt dann, wenn es sich um den vollständigen Entzug des Wortes bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung handelt. Der Wortentzug ist nicht an ungebührliches Verhalten iSd § 178 Abs 1 GVG gebunden, sondern kann bereits im Falle unsachlichen oder weitschweifenden Vortrags erfolgen (OVG Münster NJW 90, 1749 [OVG Nordrhein-Westfalen 23.02.1990 - 18 B 23082/89]).
3. Außerhalb der Verhandlung.
Rn 4
Außerhalb der mündlichen Verhandlung zählt zur formellen Prozessleitung insb die Bestimmung der Beweisaufnahme durch den beauftragten Richter (§ 361), die Anberaumung (§§ 216, 361), Aufhebung und Verlegung eines Termins (§ 227), die Entscheidung über die Fristen (§§ 134 II 2, 226, 239 III 2, 274 III 2, 520 II 2, 521 II 1, 551 II 5, 6) sowie die Wahl zwischen frühem ersten Termin und schriftlichem Vorverfahren (§ 272 II). Die Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers erfolgt durch den vom Gericht für jedes Jahr zu beschließenden Geschäftsverteilungsplan (§ 21g I, II GVG).
II. Materielle Prozessleitung.
1. Überblick.
Rn 5
Dem Vorsitzenden obliegt auch die materielle Prozessleitung, mithin die Verantwortung für eine sachangemessene, sorgfältige Verhandlung des Falles (Abs 3 iVm § 139). Danach hat er für die erschöpfende Erörterung aller erheblicher Fragen zu sorgen (BAG NZA 93, 1036 [BAG 25.02.1993 - 8 AZR 274/92]), ebenso wie für die Durchführung einer Beweisaufnahme (BGH NJW 84, 1823 [BGH 17.04.1984 - VI ZR 220/82]). Der Vorsitzende, wie jedes Mitglied des Gerichts, hat der richterlichen Frage- und Aufklärungspfl...