I. Allgemeines.
Rn 8
Abs 2 ist Ausfluss des im Zivilprozess geltenden Verhandlungsgrundsatzes (Beibringungsgrundsatz, s.o. Einl Rn 28) und der Prozessförderungspflicht und ergänzt Abs 1 sowie die allg Grundlagen der Darlegungslast (s.u. Rn 9). Sie dient der Klärung der Beweisbedürftigkeit der von der anderen Partei vorgetragenen Tatsachen. Abs 2 stellt keine prozessuale Pflicht, sondern lediglich eine Erklärungslast dar, bei deren Nichtbeachtung Abs 3 eingreift. Eine über Abs 2 hinausgehende allg Aufklärungspflicht gibt es im deutschen Recht nicht (s.u. Rn 20).
II. Voraussetzung der Erklärungslast.
Rn 9
Zunächst hat jede Partei ihre allgemeine Darlegungslast zu beachten. Sie trägt für die tatsächlichen Behauptungen, für die sie die obj Beweislast hat, diese abstrakte Darlegungslast (s.u. § 286 Rn 86). Dieser genügt sie, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH MDR 22, 1110 und 1266 [BGH 27.04.2022 - XII ZR 37/21]; 20, 1528; 19, 119; NJW 13, 3180 [BGH 31.07.2013 - VII ZR 59/12]; NJW 09, 2137 [BGH 09.02.2009 - II ZR 77/08]). Dann ist der Sachvortrag schlüssig. Der Grad der Wahrscheinlichkeit der Behauptungen ist für den Umfang der Darlegungslast ohne Bedeutung (BGH MDR 15, 48 [BGH 11.11.2014 - VIII ZR 302/13]). Im Interesse der Wahrung von Art 103 I GG darf das Gericht keine überspannten Anforderungen an die Darlegung stellen (BGH MDR 19, 119; ZIP 13, 221). Jede Partei hat sich sodann gem Abs 2 über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Damit ist als Grundvoraussetzung ein substantiiertes Vorbringen der anderen Partei notwendig, dh die behaupteten Tatsachen müssen ausreichen, um das geltend gemachte Recht zu begründen. Dabei reicht es aus, wenn der Anspruchsteller sich auf die wesentlichen Tatsachen beschränkt, die das entsprechende Recht begründen. So genügt es zB bei einer Klage auf Kaufpreiszahlung, den Vertragsschluss zu behaupten, oder bei einer Klage auf Herausgabe das Eigentum geltend zu machen (vgl MüKoZPO/Wagner Rz 18). Ein detailliertes Vorbringen (zB Erklärung über die Umstände des Vertragsschlusses) ist erst nach Bestreiten der anderen Partei notwendig; iE Schwaiger AnwBl 14, 554. Vom Grundsatz abweichend, betont der BGH im Arzthaftungsprozess, dass an die Substanziierung des klägerischen Vorbringens nur maßvolle Anforderungen zu stellen sind. Praktisch reicht es aus, wenn der Patient die Vermutung eines Behandlungsfehlers darlegt (BGH NJW-RR 19, 17 [BGH 28.08.2018 - VI ZR 509/17] Rz 33; BGH NJW 15, 1601 [BGH 24.02.2015 - VI ZR 106/13] Rz 19).
III. Umfang der Erklärungslast (Substanziierungslast).
Rn 10
Der Umfang der Erklärungslast (also die Substanziierung des Vortrags) richtet sich ausschließlich nach dem Umfang des Vortrags der anderen Partei (BGH NJW 99, 1404; MDR 14, 674; 20, 1528; ZIP 22, 2572; iE dazu Greger FS Gehrlein, 22, S 211). Substantiierung ist daher das Maß der Erfüllung der eigenen Darlegungslast. Jede Erklärung des Gegners setzt also voraus, dass die zunächst vortragende Partei einen einlassungsfähigen Sachvortrag behauptet, also einen Vortrag, der erkennen lässt, welcher konkrete Lebenssachverhalt angesprochen ist (dazu iE Brose MDR 08, 1315, 1317). Dann hat der Gegner sich konkret und gezielt zu den Behauptungen der anderen Partei zu äußern. Er muss eine dem Vortrag der gegnerischen Partei entsprechende Gegendarstellung geben. Wurden zu einer bestimmten Tatsache keine konkreten Einzelheiten genannt, hat dies auch nicht vom Gegner zu erfolgen. Folglich bleibt von der Erklärungslast die Pflicht der behauptungs- und beweisbelasteten Partei unberührt, die für sie günstigen rechtshindernden, -hemmenden oder -vernichtenden Tatsachen vorzutragen. Unterbleibt eine konkrete Erklärung des Gegners, so sind die behaupteten Tatsachen als zugestanden anzusehen (BGH v 12.11.14 – XII ZB 469/13). Für einen Beweisantrag ist es nicht erforderlich, dass das Beweisergebnis wahrscheinlich gemacht wird (BGH NJW-RR 15, 829 [BGH 16.04.2015 - IX ZR 195/14]). Ein Bestreiten ist auch durch vorangegangenen Vortrag möglich (BGH MDR 22, 1302 [BGH 21.06.2022 - VIII ZR 285/21]).
Jedoch genügt ein einfaches Bestreiten nicht, wenn der Anspruchsteller genauere Angaben zu bestimmten Tatsachen dargelegt hat (BGH MDR 14, 674). Auf eine substantiierte Tatsachenbehauptung hat ein ebenso substantiiertes Bestreiten der gegnerischen Seite zu folgen. Den Prozessgegner kann also eine sekundäre Darlegungslast treffen (s.u. Rn 11). So reicht es zB nicht aus, das bloße Bestehen eines Kaufvertrages zu bestreiten, wenn die Gegenpartei substantiiert vorgetragen hat, wann, wo und unter welchen Umständen der Vertrag geschlossen wurde. In diesem Fall führt das einfache Bestreiten zu Abs 3. Ebenso ist die beliebte Floskel, iÜ werde alles bestritten, was nicht ausdrücklich zugestanden wurde, unbeachtlich.
Die für eine substantiierte Gegendarstellung notwendigen Informationen hat sich die Partei selbst zu beschaffen, soweit sie dazu in der Lage ist. Wenn dem Beklagten allerdings ein substantiierter Vortrag sc...