I. Parteianhörung und Parteivernehmung.
Rn 2
Theoretisch besteht ein klarer Unterschied zwischen der Parteianhörung nach § 141 und der Parteivernehmung nach §§ 445 ff. So besteht bereits ein grundlegender formaler Unterschied bei der Anordnung. Eine Parteianhörung wird durch Beschl des Gerichts oder als eine vorbereitende Maßnahme (vgl § 273 II Nr 3) durch Verfügung angeordnet, während die Parteivernehmung einen Beweisbeschluss erfordert (§ 450 I 1). Weiterhin besteht ein klarer systematischer Unterschied. Die Parteianhörung ist Teil der mündlichen Verhandlung (also kein Beweismittel, KG NJW 18, 239 [KG Berlin 11.07.2017 - 21 U 100/16]), die Parteivernehmung ist die Heranziehung eines Beweismittels und ist damit Teil der Beweisaufnahme. Dadurch ergibt sich bei theoretischer Betrachtung auch ein klarer zeitlicher Unterschied. Die Parteianhörung wird idR zu Beginn des Prozesses, insb iRd Güteverhandlung in Betracht kommen (vgl § 278 III), die Parteivernehmung als Beweisaufnahme folgt erst nach der streitigen Verhandlung (§ 279 II).
Diese klaren theoretischen Unterschiede können sich in der Praxis leicht verwischen (vgl BGH NJW-RR 16, 583 [BGH 21.01.2016 - I ZB 12/15]: beide Bereiche sollen sich überschneiden). Der Richter kann iRd Parteianhörung alle diejenigen Problempunkte erörtern, die auch Thema einer Parteivernehmung sein könnten. Der Richter kann die Parteien vAw und unter Sanktionsandrohung laden. Schließlich gibt die persönliche Anwesenheit der Partei dem Richter die Chance, denkbare Unterschiede in der Darstellung des Prozessbevollmächtigten zur Auffassung der Partei auszuloten. So liegt die Gefahr nahe, die Darstellungen der Partei iRd § 141 als endgültige Aussage und damit letztlich wie eine Beweisaufnahme zu werten. Insbesondere wird ein solches Verhalten dem Richter durch § 286 I ermöglicht, der iRd freien Beweiswürdigung ausdrücklich auch auf den gesamten Inhalt der Verhandlungen abstellt (Kockentiedt/Windau NJW 19, 3348; Kobl MDR 17, 1301; Stackmann NJW 12, 1249, 1252).
Wie problematisch ein solches richterliches Vorgehen letztlich dennoch ist, zeigt die Tatsache, dass die Aussagen der Partei iRv § 141 Parteibehauptungen bleiben (nicht Beweisaussagen; Deppenkemper jM 19, 312). Es bedarf also weiterhin einer Unterscheidung zwischen der Parteienanhörung, die Teil des Streitstoffes ist, und dem Beweisstoff, der sich aus einer Beweisaufnahme ergibt. Die Unterscheidung muss sich auch auf die Frage auswirken, ob ein Geständnis der Partei nach § 288 möglich ist. Dies ist bei der Parteivernehmung abzulehnen (BGH NJW 95, 1432; RG JW 36, 1778 f; MüKoZPO/Prütting § 288 Rz 27; Zö/Greger § 288 Rz 3b; Orfanides NJW 90, 3175; aA BGH NJW 53, 621; Anders/Gehle/Bünnigmann ZPO § 288 Rz 6). Dagegen ist ein Geständnis im Rahmen der bloßen Anhörung möglich (wie hier BGH NJW 95, 1432 [BGH 14.03.1995 - VI ZR 122/94]; aA BGH NJW-RR 09, 1272 [BGH 26.02.2009 - I ZR 155/07]). Die Praxis, im Rahmen der Parteianhörung einen Prozessvergleich anzusteuern, ist von § 141 nicht gedeckt (MüKoZPO/Wagner § 141 Rz 7).
II. Prozessuale Waffengleichheit.
Rn 3
Zusätzliche Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Parteianhörung und Parteivernehmung hat die berühmte Rspr des EGMR zu den Fragen der Vier-Augen-Gespräche hervorgerufen (EGMR NJW 95, 1413). Nach dieser auch von der deutschen Rspr übernommenen Auffassung widerspricht es dem verfassungsrechtlichen Gebot der Waffengleichheit (vgl Einleitung Rn 44), wenn eine Partei iRd Beweisführung über ein Vier-Augen-Gespräch eine Person als Zeugen benennen kann, deren Interessenverflechtung zum Beweisführer erkennbar ist, während die Gegenseite als Gesprächspartner nur sich selbst und damit die Partei aufbieten kann. Der EGMR hatte im Jahre 1993 in dieser Situation die Rechtslage in den Niederlanden beanstandet. Aus deutscher Sicht wird allgemein die Auffassung vertreten, dass die Gesetzeslage dem Verfassungsgebot entspricht, weil ggü dem Zeugen die Partei entweder nach § 141 oder nach § 448 in gleicher Weise angehört werden kann (BGH NJW 13, 2601 [BGH 14.05.2013 - VI ZR 325/11]; Frankf MDR 13, 107 [OLG Nürnberg 30.11.2012 - 4 U 1514/12]; KG NJW 18, 239 [KG Berlin 11.07.2017 - 21 U 100/16]). Die ausdrücklich vorgesehene Verhandlungswürdigung in § 286 I gibt sodann dem Richter die Möglichkeit, unabhängig von Partei- und Zeugenstellung die Aussagen gegeneinander abzuwägen und zu bewerten (BVerfG NJW 01, 2531 [BVerfG 21.02.2001 - 2 BvR 140/00]; BGH NJW-RR 06, 61, 63 [BGH 27.09.2005 - XI ZR 216/04]; BGH NJW 03, 3636; NJW 99, 363 [BGH 16.07.1998 - I ZR 32/96]; BAG NJW 09, 1019 [BAG 19.11.2008 - 10 AZR 671/07]). Das Gericht hat letztlich sogar die Möglichkeit, der Parteierklärung entgegen der Zeugenaussage zu folgen (aA Eschelbach/Geipel MDR 12, 198). Damit erscheint die deutsche Regelung als verfassungsgemäß. De lege ferenda kann freilich nicht zweifelhaft sein, dass das deutsche Recht der Parteivernehmung reformbedürftig ist.
III. Eingriff in den Beibringungsgrundsatz.
Rn 4
Es besteht die Gefahr, dass die Befragung der Partei gem § 141 zu einem Eingriff in den Beibringungsgrundsatz führt. Jedenfalls gibt sie dem Richte...