Rn 2
Die Norm steht in ihrer Fassung seit dem ZPO-RG 2002 in erkennbarem Zusammenhang mit dem Versuch des Gesetzgebers, die 1. Instanz zu stärken und die Rechtsmittelmöglichkeiten zu beschränken. Die Norm soll durch die Erweiterung von Editionspflichten die Aufklärungsmöglichkeiten von Gericht und Parteien erweitern. Sie hat damit freilich in mehrfacher Hinsicht systematische Probleme ausgelöst (s.o. Rn 1). Dies hat dazu geführt, dass Bedeutung und Anwendungsbereich der Norm bis heute heftig umstr sind.
Im Wesentlichen werden drei verschiedene Auffassungen vertreten. Nach einer ersten Auffassung soll sich § 142 nur auf solche Tatsachen beziehen, die zwischen den Parteien unstr sind. Die Vorschrift soll damit ausschließlich der Information des Gerichts bei Unklarheiten dienen. Die Norm sei also lediglich ein Instrument der Prozessleitung, während eine Beweiserhebung über streitige Tatsachen iRd Urkundenbeweises ausschließlich nach den §§ 415 ff erfolgen müsse (Gruber/Kießling ZZP 116, 305, 311; Zö/Greger § 142 Rz 1). Eine zweite Auffassung lehnt zwar die Einordnung von § 142 als reines Instrument der Prozessleitung ab und gibt der Norm Beweisqualität. Sie engt den Anwendungsbereich einer Vorlagepflicht aber dadurch ein, dass die gerichtliche Anordnung der Urkundenvorlage nur zulässig sein soll, wenn sich entweder die im Besitz der Urkunde befindliche Partei selbst auf diese bezogen hat oder im Falle der Bezugnahme durch den Gegner die besitzende Partei die Beweislast für die Tatsache trägt, bzw die besitzende Partei dem Gegner nach materiellem Recht zur Vorlage verpflichtet ist (Leipold FS Gerhardt 04, 563, 568, 582; ähnlich BGH NJW 07, 155 [BGH 26.10.2006 - III ZB 2/06]). Eine dritte Auffassung nimmt den Wortlaut und das Anliegen der Norm insoweit ernst, als sie die Vorlagepflicht auch aus rein prozessualen Gründen und ggü der nicht beweisbelasteten, aber im Besitz der Urkunde befindlichen Partei für anwendbar hält (BGH NJW 07, 2989 [BGH 26.06.2007 - XI ZR 277/05]; Musielak/Voit/Stadler § 142 Rz 4; Zekoll/Haas JZ 17, 1140). Allerdings muss eine solche Auffassung darauf achten, dass § 142 nicht zu einem Instrument der Ausforschung nach den Vorstellungen des amerikanischen discovery-Verfahrens missbraucht wird (Brand, NJW 17, 3558; Prütting AnwBl 08, 158 [OLG München 26.11.2007 - 4 St RR 148/07]; Zekoll/Bolt NJW 02, 3133). Letztlich dient eine prozessuale Editionspflicht wie § 142 nur dem Beweis von Tatsachenbehauptungen, nicht der Sachverhaltserforschung, sodass hinter der Norm ein reines Beweisinteresse, kein Ausforschungsinteresse besteht (Krapfl/Mann FS Schütze 15, 279). Die Vorlage von Vergleichsurkunden zu einem Schriftvergleich ist von § 142 nicht gedeckt (BGH NJW 17, 3304 [BGH 16.03.2017 - I ZR 205/15]).
Der Gesetzeswortlaut und die historische Auslegung sprechen für die zuletzt genannte Auffassung, auch wenn einzuräumen ist, dass der Gesetzgeber mit § 142 eine ›zuvor nicht vorhandene Spannung‹ in die ZPO hineingetragen hat (Wagner JZ 07, 706, 709). Es ist unstr, dass der Gesetzgeber § 142 formuliert hat, ohne eine Anpassung an die §§ 420 ff vorzunehmen. Die Praxis muss dem dadurch gerecht werden, dass sie die Norm ernst nimmt, die Voraussetzungen für eine gerichtliche Anordnung aber streng handhabt (s.u. Rn 3 ff, 6, 7). Letztlich münden die Schwierigkeiten bei der Anwendung von § 142 in die Frage, welche Sanktion eine Weigerung der Urkundenvorlage auslösen kann (s.u. Rn 10). Nach der Auffassung von Althammer führt der Weg des Gesetzgebers bei der Umsetzung von europäischem Sonderprozessrecht zurück zu einer materiellen Grundlage von Editionspflichten (Althammer FS Schütze 2017, 15).