I. Problemstellung.
Rn 17
Die Möglichkeit einer Anordnung der Urkundenvorlegung nach § 142 und ebenso § 144 für Augenschein und Sachverständige werfen die Frage auf, wie zu verfahren ist, wenn prozessrechtlich relevante Tatsachen einem gewissen Geheimnisschutz unterliegen (Betriebs-, Geschäfts- und Unternehmensgeheimnis, Bankgeheimnis, Fernmeldegeheimnis, Redaktionsgeheimnis, Steuergeheimnis). Der Schutz Dritter vor Offenbarung solcher Geheimnisse ist durch §§ 142 II, 144 II, 383 ff sichergestellt. Problematisch ist der Schutz der Prozessparteien angesichts des Dilemmas, zwischen Geheimhaltung mit Prozessverlust oder Offenbarung zu wählen. Näher dazu Baumgärtel/Laumen/Prütting Grundlagen, 4. Aufl 19, Kap 7. Ferner s.u. § 285 Rn 5–7.
II. Die bisherige Rechtslage.
Rn 18
Das deutsche Recht geht von der Beweislastverteilung aus und schützt zunächst die nicht beweisbelastete Partei vor Offenbarung (BGH NJW 07, 155 [BGH 26.10.2006 - III ZB 2/06]; 97, 128; 90, 3151 [BGH 11.06.1990 - II ZR 159/89]; 58, 1491 [BGH 26.06.1958 - II ZR 66/57]). Darüber hinaus gibt das deutsche Recht der beweisbelasteten Partei Auskunftsansprüche nach materiellem Recht (s.o. Rn 1) und nunmehr auch prozessuale Möglichkeiten nach §§ 142, 144. Weiter kennt das Gesetz den Ausschluss der Öffentlichkeit (§§ 172 Nr 2, 3, 174 III GVG) und Zeugnisverweigerungsrechte für Dritte, nicht aber für Prozessparteien (§§ 383 I Nr 6, 384 Nr 3). Diese Möglichkeiten haben sich in Einzelfällen als nicht ausreichend erwiesen. Weitergehende Überlegungen verweisen auf § 99 II VwGO und die Rspr des BVerfG (BVerfGE 101, 106 [BVerfG 27.10.1999 - 1 BvR 385/90]; 115, 205) bei hoheitlich geprägten Voraussetzungen. Neuerdings werden Analogien zu Spezialregelungen erwogen (§§ 87c IV, 259 HGB, 17 UWG, 142c PatG, 19a MarkenG, 101 UrhG). Hintergrund ist die Umsetzung der sogenannten Enforcement-RiLi (v 29.4.04, 04/48/EG; vgl Beckhaus Die Bewältigung von Informationsdefiziten 10 S 167 ff; Bahner Geheimnisschutz im Zivilprozess 13 S 100 ff). Gegen eine solche Analogie bestehen Bedenken im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art 103 I GG) sowie die Beteiligungsrechte der Parteien aus §§ 285, 357, 397 und die Grundgedanken der Beweislastverteilung (Baumgärtel/Laumen/Prütting, Grundlagen, 5. Aufl 23, Kap 7).
III. Ergebnis.
Rn 19
Die Schaffung eines beweisrechtlichen Geheimverfahrens unter Abwägung aller kollidierenden und gegenseitigen Schutzgüter und Interessen (effektiver Rechtsschutz und prozessuale Waffengleichheit, Recht auf den Beweis und freie Beweiswürdigung, Öffentlichkeit, rechtliches Gehör, materieller Geheimnisschutz aus Art 12 I GG) ist daher Aufgabe des Gesetzgebers; dazu s.u. § 285 Rn 5; MüKoZPO/Prütting § 285 Rz 10–12; umfassend zuletzt Stadler ZZP 123, 261; Beckhaus (o. Rn 18), 10; Adloff Vorlagepflichten und Beweisvereitelung im deutschen und französischen Zivilprozess, 07; Bahner (o. Rn 18); Wrede Das Geheimverfahren im Zivilprozess 14; Geisse, Aufklärung und Informationskontrolle im Zivilprozess, 20. Gegen ein Geheimverfahren aus dem Blickwinkel der prozessualen Waffengleichheit ausdr BVerfG NJW 18, 3631 [BVerfG 30.09.2018 - 1 BvR 1783/17] Rz 24; NJW 18, 3634 [BVerfG 30.09.2018 - 1 BvR 2421/17] Rz 36.