Rn 3
Der zu erwartende Erkenntnisgewinn aus der Verwertung der strafrechtlichen Ermittlungen und die Nachteile, die den Prozessbeteiligten aus einer Verzögerung des Zivilverfahrens drohen, sind gegeneinander abzuwägen. Ist ein zeitnaher Abschluss des Strafverfahrens innerhalb eines Jahres nicht zu erwarten, scheidet eine Aussetzung idR aus (Zö/Greger Rz 2). In Arzthaftungssachen kommt eine Aussetzung bis zum Abschluss eines gegen den Arzt anhängigen Strafverfahrens regelmäßig aufgrund der abweichenden Rechts- und Beweislage im Arzthaftungsprozess nicht in Betracht (Dresd NJW-RR 20, 1037 [OLG Dresden 25.06.2020 - 4 W 426/20]). Auch im Kündigungsschutzprozess scheidet eine Aussetzung im Allgemeinen aus, da die kündigungsrechtliche Beurteilung einer Pflichtverletzung für die strafrechtliche Bewertung nicht maßgeblich ist (LAG Köln, Beschl. v 12.4.19 – 9 Ta 41/19; BAGE 143, 244 [BAG 25.10.2012 - 2 AZR 700/11] Rz 15).
I. Paralleler Zeugenbeweis.
Rn 4
Das Zivilgericht ist an die Tatsachenfeststellung des Strafgerichts nicht gebunden (KGR 06, 329; Saarbr OLGR 03, 80). Auch nach der Aussetzung muss sich das Zivilgericht am Maßstab der §§ 286, 287 seine eigene Überzeugung bilden. Eine Aussetzung erscheint daher im Regelfall nicht sachgerecht, wenn die im Zivil- und Strafverfahren relevanten Beweisfragen durch Zeugenbeweis aufzuklären sind: Bereits aufgrund der oft unzureichenden Protokollierung von Zeugenaussagen im Strafverfahren – gem § 273 II StPO enthält das Protokoll im Regelfall nur die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen – wird eine Wiederholung des Zeugenbeweises kaum zu vermeiden sein. Nicht selten nehmen Parteien eine vermeintliche Falschaussage im Zivilverfahren zum Anlass, parallel zu dem noch nicht abgeschlossenen Zivilverfahren Strafanzeige wegen eines Aussagedelikts zu stellen. Auch hier wird das Zivilgericht einem Aussetzungsantrag im Regelfall nicht stattgeben, sondern sich seine eigene Überzeugung von der Glaubwürdigkeit des Zeugen bilden: Jedenfalls in den Fällen, in denen das Gericht die Glaubwürdigkeit von Zeugen oder Parteien beurteilen muss, lässt sich die Aussetzung nicht damit begründen, dass das Strafurteil für die Zulässigkeit einer Restitutionsklage gem § 580 Nr 1 und 3, § 581 I Tatbestandswirkung besitzt (aA Wieczorek/Schütze/Smid Rz 8; Musielak/Voit/Stadler Rz 3).
II. Vorrang des Untersuchungsgrundsatzes.
Rn 5
Umgekehrt ist eine Aussetzung va dann in Betracht zu ziehen, wenn ein parallel geführtes Strafverfahren objektivierbare Beweise – insb im Wege einer sachverständigen Begutachtung – erhebt oder die Ermittlungsbehörde iRd Untersuchungsgrundsatzes Beweisermittlungen anstellt, die dem Zivilgericht, das – mit hier nicht darzustellenden Einschränkungen – den Verhandlungsgrundsatz wahren muss, versperrt sind. Durch Aussetzung können im Wege von Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen gefundene Ermittlungsergebnisse in die zivilprozessuale Beweiswürdigung Eingang finden. Auch dann, wenn der auf Beiziehung der Ermittlungsakten gerichtete Beweisantrag nicht vollzogen werden kann, da Zwecke des Strafverfahrens der Akteneinsicht entgegenstehen (§ 477 II StPO), ist eine Aussetzung regelmäßig nicht zu vermeiden.