Rn 3
Wohnung ist der Raum oder sind die Räume, in denen der Adressat tatsächlich lebt (BGH NJW 19, 2942 [BGH 14.05.2019 - X ZR 94/18] Rz 9; Nürnbg MDR 23, 723 [OLG Nürnberg 20.02.2023 - 13 W 44/23], also – zumindest vorübergehend – seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat. Dass er dort seine Schlafstelle hat, ist ein starkes Indiz (Dresd Rpfleger 05, 269 [OLG Dresden 24.11.2004 - 2 Ws 662/04]), aber nicht zwingend erforderlich (Köln NJW-RR 89, 443 [OLG Köln 16.08.1988 - 22 W 30/88]; BVerwG NVwZ-RR 23, 511 [BVerwG 03.03.2023 - BVerwG 2 WDB 12.22]).
Rn 3a
Voraussetzung für eine wirksame Ersatzzustellung ist, dass an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten tatsächlich von diesem genutzt wird (BGH NJW 11, 2440 [BGH 16.06.2011 - III ZR 342/09] Rz 13). Diese Tatbestandsvoraussetzung wird von der Beweiskraft der Zustellungsurkunde nicht erfasst. Deshalb ist eine Ersatzzustellung bei einer ›c/o-Adresse‹ nicht möglich, wenn der Zustellungsempfänger dort nicht wohnt (Nürnbg MDR 23, 723 [OLG Nürnberg 20.02.2023 - 13 W 44/23]). Die in der Urkunde enthaltene Erklärung des Zustellers, er habe den Adressaten ›in seiner Wohnung‹ nicht angetroffen, ist lediglich ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Adressat unter dieser Zustellanschrift wohnt (BVerfG NJW 92, 224, 225; BGH NJW 92, 1963; 04, 2386, 2387; ZInsO 20, 1127 Rz 56).
Der äußere Anschein, eine Wohnung zu unterhalten, genügt nicht; bei bei bewusster und zielgerichteter Herbeiführung eines solchen Anscheins kann dem Adressaten die Berufung auf eine fehlerhafte Ersatzzustellung wegen unzulässiger Rechtsausübung versagt sein (Dresd NJOZ 21, 219; BGH NJW 19, 2941 [BGH 03.04.2019 - XII ZB 311/17] Rz 9, 11; BGH NJW 11, 2440 [BGH 16.06.2011 - III ZR 342/09] Rz 14 f), was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfG NJW-RR 10, 421 [BVerfG 15.10.2009 - 1 BvR 2333/09] Rz 18).
Ein Adressat kann mehrere Wohnungen haben (LG Heidelberg ZMR 15, 817: Zweitwohnung; BVerwG NVwZ-RR 23, 511: Wohnungen eines Soldaten). Bei einem Einfamilienhaus gehören zur Wohnung auch Hof und Garten. Die Definition des § 7 BGB ist nicht maßgeblich (BGH NJW 78, 1878; BayObLG Rpfleger 84, 105), ebenso wenig die behördliche Meldung (BVerwG NVwZ-RR 23, 511 [BVerwG 03.03.2023 - BVerwG 2 WDB 12.22]; BGH NJW-RR 86, 1083 [BGH 04.03.1986 - VI ZR 242/84]). Wohnung kann auch ein Hotel- oder Klinikzimmer sein; eine Ferienwohnung dagegen grds nicht. Eine vorübergehende Abwesenheit zB aufgrund Reise, Klinikaufenthalt (BGH NJW 85, 2197; Zweibr MDR 84, 762), Untersuchungshaft (Hamm Rpfleger 03, 377 [OLG Hamm 06.03.2003 - 2 Ss OWi 1090/02]; Dresd Rpfleger 05, 269 [OLG Dresden 24.11.2004 - 2 Ws 662/04]) oder Wehrdienst (München NJW-RR 91, 1470) heben die Wohnungseigenschaft nicht auf, solange damit zu rechnen ist, dass die Ersatzperson in absehbarer Zeit Gelegenheit hat, das Dokument dem Adressaten auszuhändigen. Demgegenüber verliert die Wohnung ihren Charakter bei einer Strafhaft von einem Monat (BGH NJW 51, 931) oder mehr (BGH NJW 78, 1858; LAG Sachsen-Anhalt MDR 98, 924 [LAG Sachsen-Anhalt 26.11.1997 - 4 Ta 203/97]; KG NJW-RR 06, 514 [KG Berlin 15.08.2005 - 12 U 121/04]) oder einem längeren berufsbedingten Auslandsaufenthalt (BGH NJW-RR 97, 1161 [BGH 04.06.1997 - XII ARZ 13/97]) oder einem mehrmonatigen ununterbrochenen Aufenthalt in einem Frauenhaus (Stuttg NStZ-RR 15, 144). Der Verbleib eines Familienangehörigen in der Wohnung kann das Fortbestehen einer persönlichen Bindung an die Wohnung indizieren (BGH NJW 78, 1858 [BGH 24.11.1977 - III ZR 1/76]; Braunschw MDR 97, 884). Anderes gilt, wenn die Wohnung aufgegeben ist. Die Aufgabe der Wohnung setzt einen vom Willen getragenen Aufgabeakt voraus, mit dem der Wohnungsinhaber nach außen erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, dass er seine bisherige Wohnung nicht weiter als Lebensmittelpunkt nutzen wird (vgl BGH NJW 88, 713 [BGH 27.10.1987 - VI ZR 268/86]; NJW-RR 05, 415 [BGH 14.09.2004 - XI ZR 248/03]). Abzustellen ist dabei nicht auf die Sichtweise des Zustellungsveranlassers oder des Zustellers, sondern auf einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter (BGH NJW 11, 2440 [BGH 16.06.2011 - III ZR 342/09] Rz 17 mwN). Es ist daher nicht erforderlich, alle den Anschein des Fortbestands der Wohnung begründenden Merkmale, wie etwa das Namensschild, zu entfernen. Auch hier ist die Ummeldung nicht entscheidend, hat aber indizielle Bedeutung.