Gesetzestext
(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden
1. |
in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner, |
2. |
in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person, |
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in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter. |
(2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.
A. Normzweck.
Rn 1
Um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, ermöglicht § 178 (auch bei Parteizustellung) die Zustellung mit sofortiger Wirkung an eine Ersatzperson, wenn der Zustellungsadressat oder sein rechtsgeschäftlicher Vertreter (§ 171) nicht angetroffen (vgl § 177) wird. Sie setzt voraus, dass eine Zustellung nach § 177 möglich wäre; daran fehlt es, wenn ein Kläger sich weigert, eine Zustellanschrift anzugeben und zB nur die Adresse eines Postdienstleisters nennt (BGH NJW-RR 23, 1291 [BGH 07.07.2023 - V ZR 210/22]). Zustellung an diesen wäre weder Zustellung an die Partei noch Ersatzzustellung, weswegen eine solche Klage unzulässig ist. Ebenso ist es, wenn der Adressat verstorben ist. Da an ihn selbst nicht mehr zugestellt werden kann, kann an ihn auch nicht nach § 178 zugestellt werden.
§ 178 beruht auf der Vermutung, dass die Ersatzperson das Dokument an den Adressaten weitergibt. Dass dies tatsächlich geschieht, ist aber nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung. Eine Wissenszurechnung erfolgt nach § 178 nicht, wenn es materiell-rechtlich (zB § 932 BGB) oder prozessrechtlich (zB § 233) auf Kenntnis ankommt. Abs 2 verbietet die Zustellung, wenn für die Ersatzperson eine Interessenkollision besteht.
B. Tatbestandsvoraussetzungen.
I. Erfolgloser Zustellungsversuch
Rn 2
Eine Ersatzzustellung ist nur dann zulässig, wenn der Zusteller eine Zustellung an einem der in § 178 genannten Orte versucht und den Zustellungsadressaten dort nicht angetroffen hat. Der Zustellungsversuch darf nicht zu einer allgemein unpassenden Zeit erfolgt sein. Nicht angetroffen ist der Adressat insb, wenn der Zusteller aus irgendeinem Grund nicht zu dem Adressaten gelangen konnte, und auch dann, wenn er zwar anwesend, eine Zustellung an ihn aber nicht möglich ist, weil er an der Annahme des Dokuments gehindert ist. Der Versuch ist ausgeführt, wenn eine anwesende Personauf Nachfrage erklärt, der Adressat sei abwesend (BFH NVwZ-RR 95, 181, 182 [BFH 25.01.1994 - VIII R 45/92]). Eine Durchsuchung der Räume, um den Adressaten aufzufinden, ist nicht zulässig, aber auch nicht erforderlich. Bei Geschäftsräumen ist der Zusteller grds nicht zu weiteren Nachforschungen verpflichtet, wenn der Zustellungsadressat als abwesend oder verhindert bezeichnet wird; es genügt die widerspruchslose Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person (BGH MDR 15, 415; NJW 17, 2472 [BGH 29.03.2017 - VIII ZR 11/16] Rz 29). Erklärt der Adressat, er könne das Dokument nicht entgegennehmen, gilt § 179.
II. Ersatzzustellung in der Wohnung.
1. Wohnung.
Rn 3
Wohnung ist der Raum oder sind die Räume, in denen der Adressat tatsächlich lebt (BGH NJW 19, 2942 [BGH 14.05.2019 - X ZR 94/18] Rz 9; Nürnbg MDR 23, 723 [OLG Nürnberg 20.02.2023 - 13 W 44/23], also – zumindest vorübergehend – seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat. Dass er dort seine Schlafstelle hat, ist ein starkes Indiz (Dresd Rpfleger 05, 269 [OLG Dresden 24.11.2004 - 2 Ws 662/04]), aber nicht zwingend erforderlich (Köln NJW-RR 89, 443 [OLG Köln 16.08.1988 - 22 W 30/88]; BVerwG NVwZ-RR 23, 511 [BVerwG 03.03.2023 - BVerwG 2 WDB 12.22]).
Rn 3a
Voraussetzung für eine wirksame Ersatzzustellung ist, dass an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten tatsächlich von diesem genutzt wird (BGH NJW 11, 2440 [BGH 16.06.2011 - III ZR 342/09] Rz 13). Diese Tatbestandsvoraussetzung wird von der Beweiskraft der Zustellungsurkunde nicht erfasst. Deshalb ist eine Ersatzzustellung bei einer ›c/o-Adresse‹ nicht möglich, wenn der Zustellungsempfänger dort nicht wohnt (Nürnbg MDR 23, 723 [OLG Nürnberg 20.02.2023 - 13 W 44/23]). Die in der Urkunde enthaltene Erklärung des Zustellers, er habe den Adressaten ›in seiner Wohnung‹ nicht angetroffen, ist lediglich ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Adressat unter dieser Zustellanschrift wohnt (BVerfG NJW 92, 224, 225; BGH NJW 92, 1963; 04, 2386, 2387; ZInsO 20, 1127 Rz 56).
Der äußere Anschein, eine Wohnung zu unterhalten, genügt nicht; bei bei bewusster und zielgerichteter Herbeiführung eines solchen Anscheins kann dem Adressaten die Berufung auf eine fehlerhafte Ersatzzustellung wegen unzulässiger Rechtsausübung versagt sein (Dresd NJOZ 21, 219; BGH NJW 19, 2941 [BGH 03.04.2019 - XII ZB 311/17] Rz 9, 11; BGH NJW 11, 2440 [BGH 16.06.2011 - III ZR 342/09] Rz 14 f), was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfG NJW-...