I. Zweck und Beweiskraft der Zustellungsurkunde.
Rn 1
Die Zustellungsurkunde ist, auch wenn sie von einem Postmitarbeiter ausgestellt ist, öffentliche Urkunde mit der Beweiskraft gem § 418 (Abs 1 S 2; s.a. § 418 Rn 9 f). Diese Beweiskraft betrifft aber nur die Angaben, die die beurkundende Person selbst festgestellt oder ausgeführt hat (BGH NJW 04, 2386 mit Anm Hau IPrax 06, 20), zB ob der Zusteller den Adressaten angetroffen hat. Keine Beweiswirkung hat die Zustellungsurkunde dagegen hinsichtlich der Frage, ob an eine taugliche Empfangsperson nach § 178 I Nr 1 (BFH NVwZ 15, 181, 182), § 178 I Nr 2 (BGH NJW 04, 2386 [BGH 06.05.2004 - IX ZB 43/03]) oder § 178 I Nr 3 (BGH NJW 18, 2802) zugestellt wurde. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob der Zustellungsadressat unter der in der Urkunde angegebenen Anschrift eine Wohnung unterhält (BVerfG NJW-RR 92, 1084, 1085; BGH NJW 92, 1963). Insofern kann der Zustellungsurkunde aber eine Indizwirkung zukommen (BGH NJW 11, 2440 [BGH 16.06.2011 - III ZR 342/09] Rz 18 hinsichtlich der Existenz von Geschäftsräumen; BGH NJW 18, 2802 für das Bestehen einer Empfangsvollmacht). Soweit die Beweiskraft reicht, muss der Beweisgegner den vollen Beweis der Unrichtigkeit des Inhalts der Zustellungsurkunde führen (§ 418 II). Der Zustelladressat, der die Zustellung nicht gegen sich gelten lassen will, muss die Indizwirkung durch eine plausible und schlüssige Darstellung von abweichenden Tatsachen erschüttern (BFH/NV 17, 333 [BFH 23.11.2016 - IV B 39/16] Rz 13; BGH NJW 06, 150 [BGH 10.11.2005 - III ZR 104/05]; BGH NJW 18, 2802 [BGH 11.07.2018 - XII ZB 138/18], Hamm 26.9.23 – 3 Ws 325/23; instruktiv BGH 12.1.23 – IX ZB 5/22). Erheblichen Beweisangeboten (zB Vernehmung des Zustellers) muss zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nachgegangen werden (BFH/NV 23, 831 [BFH 30.11.2022 - I B 4/22]; BVerfG NStZ-RR 23, 86 [BVerfG 09.01.2023 - 2 BvR 2697/18]). Für eine hilfsweise beantragte Wiedereinsetzung reicht hingegen Glaubhaftmachung der Unrichtigkeit (BGH 12.1.23 – IX ZB 5/22 Rz 6). Die Beweiswirkung ist insb durch ein von der Zustellungsurkunde abweichendes Datum auf dem Umschlag entkräftet (VG Karlsruhe NVwZ-RR 23, 465 [VG Karlsruhe 21.02.2023 - A 19 K 304/23]). Bei äußeren Mängeln der Urkunde gilt § 419. Die Zustellungsurkunde ist ist in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit der Zustellung zu erstellen (BGH NJW 81, 874, 875 [BGH 26.11.1980 - IVb ZR 621/80]; 90, 176, 177 [BGH 29.06.1989 - III ZR 92/87]), aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung (BGH NJW 22, 3081 [BGH 21.06.2022 - II ZR 181/21] Rz 21; 20.1.20 – AnwZ 54/19; NJW-RR 08, 218 [BGH 19.07.2007 - I ZR 136/05] Rz 26,; sondern dient nur ihrem Nachweis. Etwas anderes gilt lediglich im Anwendungsbereich des § 180 S 3 (§ 180 Rn 4).
II. Anwendungsbereich.
Rn 2
Eine Zustellungsurkunde ist bei Zustellungen gem § 171 an den Bevollmächtigten und gem § 176, die nach §§ 177 bis 181 auszuführen sind, anzufertigen. Bei Parteizustellungen sind die Sonderregelungen in § 193 II, III, § 194 II zu beachten.
III. Form.
Rn 3
Für die Zustellungsurkunde ist das Formular gem § 1 Nr 1 ZustVV Anlage 1 zu verwenden. Abs 2 verlangt nicht die Bezeichnung des zugestellten Schriftstücks in der Zustellungsurkunde. Diese ist kein notwendiger (konstitutiver) Bestandteil der Zustellung, sondern dient nur deren Nachweis (BGH NJW-RR 08, 218 [BGH 19.07.2007 - I ZR 136/05] Rz 26; Zö/Schultzky § 166 Rz 10). Zur Klärung der Frage, welches Schriftstück zugestellt wurde, sind daher neben etwaigen Angaben in der Zustellungsurkunde auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles, insb die Verfügungen des Gerichts, zu würdigen (BGH FamRZ 20, 768 Rz 7).
IV. Mängel.
Rn 4
Schreibfehler und andere Mängel der Zustellungsurkunde lassen die Wirksamkeit der Zustellung idR unberührt (Rn 1; BayObLG 31.7.23 – 102 AR 128/23 e). Anders ist es nur bei besonders schwerwiegenden Mängeln, etwa dann, wenn wegen Streichungen im vorgedruckten Text die Art und Weise der Zustellung nicht mehr erkennbar ist (BGH NJW 90, 176 [BGH 29.06.1989 - III ZR 92/87]), Der Zusteller (und nur er) kann Mängel der Zustellungsurkunde auch nachträglich mit einem unterschriebenen Vermerk berichtigen (BVerwG DGVZ 84, 149). Der ursprüngliche Inhalt der Zustellungsurkunde muss lesbar bleiben. Eine fehlende Unterschrift berührt die Wirksamkeit der Zustellung nicht und kann nachgeholt werden; die Beweiskraft der Urkunde richtet sich dann aber nicht nach § 418, sondern ist vom Tatrichter frei zu würdigen (BFH/NV 17, 333 [BFH 23.11.2016 - IV B 39/16]; BGH NJW-RR 08, 218 [BGH 19.07.2007 - I ZR 136/05] Rz 26). Wenn die Zustellungsurkunde nicht die Beweiskraft des § 418 entfaltet, bleibt ein anderer Beweis der Zustellung möglich, zB durch eigene Erklärung des Zustellungsempfängers (BGH NJW-RR 18, 60 [BGH 12.09.2017 - XI ZB 2/17]). Zur Haftung der Post aufgrund einer unrichtigen Zustellungsurkunde s Hamm DGVZ 14, 238.
V. Rücksendung.
Rn 5
Gemäß Abs 3 muss der Zusteller die ausgefüllte Zustellungsurkunde unverzüglich (§ 121 I 1 BGB) an die Geschäftsstelle zurückleiten, die die Zustellung beauftragt hat (§ 176), und zwar in Urschr...