I. Zugang.
Rn 4
Das Schriftstück muss auf irgendeine Weise derart in den Herrschaftsbereich (›in die Hand‹) des Zustellungsadressaten oder seines Vertreters (§§ 170–172) gelangt sein, dass er es behalten und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann (vgl BGH MDR 20, 750 Rz 21; NZFam 20, 1031 Rz 9; NZG 20, 70 [BGH 12.09.2019 - IX ZR 262/18] Rz 31; BFH NJW 14, 2524 [BFH 06.05.2014 - GrS 2/13] Rz 65 ff; BGH NJW-RR 11, 417 [BGH 07.12.2010 - VI ZR 48/10] Rz 11; Frankf 30.12.13 – 21 U 23/11 Rz 48; KG GRUR-RR 11, 287). Tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich (BFH/NV 13, 809 [BFH 20.11.2012 - IX R 30/12] Rz 10). Ist ein ProzBev bestellt, kann Heilung des Mangels nur durch Zugang bei diesem, nicht durch Zugang bei der Partei eintreten (§ 172 Rn 1). Wird gegen Empfangsbekenntnis zugestellt, genügt zudem nicht der Zugang, zusätzlich ist Empfangsbereitschaft (§ 174 Rn 2) erforderlich. Der Mangel des Empfangswillens kann bei einer solchen Zustellung nicht durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs geheilt werden kann (BGH NJW 22, 1816 [BGH 11.02.2022 - V ZR 15/21] Rz 22; NJW-RR 15, 953 [BGH 13.01.2015 - VIII ZB 55/14] Rz 7, 12; s.a. BVerwG NJW 15, 3386 [BVerwG 27.07.2015 - BVerwG 9 B 33.15] Rz 5). Der Zugang bei einer Ersatzperson gem § 178 genügt nicht, weil diese nicht Zustellungsadressat ist.
Rn 4a
Für den tatsächlichen Zugang als Voraussetzung der Heilung eines Zustellungsmangels gem § 189 ist nicht der Zugang des zuzustellenden Originals erforderlich. Die erfolgreiche Übermittlung einer (elektronischen) Kopie in Form – bspw – eines Telefaxes, einer Fotokopie oder eines Scans ist ausreichend (BGH NJW-RR 18, 970 Rz 21, 28). Dies erfordert es, dass die gerichtliche Entscheidung zweifelsfrei – schon durch ihre äußere Form – als solche zu identifizieren ist (vgl BGH NJW 07, 1605 Rz 14). Deshalb (und nicht wegen der Fehleranfälligkeit einer solchen Übermittlung, wie mitunter behauptet wird) genügt auch die bloße mündliche Unterrichtung über den Inhalt des zuzustellenden Dokuments nicht, um eine Heilung herbeizuführen (vgl BGH NJW-RR 18, 970 [BGH 20.04.2018 - V ZR 202/16] Rz 30; 11, 1011 Rz 11; BGH NJW 07, 1605 [BGH 15.03.2007 - 5 StR 536/06]), ebenso wenig eine handschriftliche oder maschinenschriftliche Abschrift (BGH NJW-RR 21, 193 [BGH 07.10.2020 - XII ZB 167/20] Rz 12; MDR 20, 750 Rz 25).
II. Zustellungswille.
Rn 5
An einer heilungsfähigen Zustellung fehlt es, wenn das Schriftstück ohne den Zustellungswillen des Zustellungsveranlassers (§ 166 Rn 7) zugegangen ist (BGH NZFam 20, 1031 Rz 9; FamRZ 20, 770 Rz. 19 mwN; NJW-RR 17, 1086 Rz 13; NJW-RR 11, 417 Rz 11). Eine Zustellung muss also angeordnet sein (vgl BGH NJW 17, 2472 Rz 35), die Absicht einer lediglich formlosen Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post genügt dagegen nicht (BGH NJW-RR 20, 648 [BGH 19.02.2020 - XII ZB 291/19] Rz 19; NJW 21, 2660 Rz 8). Entscheidend ist bei der Amtszustellung der Wille des für das Verfahren zuständigen Organs, grds also des Richters (§ 270 I 1), nicht der Geschäftsstelle, die lediglich die Zustellung ausführt (§ 168). Lässt sich nicht mehr feststellen, ob eine förmliche Zustellung gewollt war, tritt keine Heilung ein (MüKoZPO/Häublein/Müller Rz 4). Der Zustellungswille muss sich gerade auf diejenige Person als Adressaten beziehen, der gegenüber die Heilung eintreten soll (BGH NJW 17, 2472 [BGH 29.03.2017 - VIII ZR 11/16] Rz 34 ff; NJW-RR 17, 1086 [BGH 04.07.2017 - VIII ZB 85/16] Rz 13). Eine Zustellung im Parteibetrieb ist unheilbar unwirksam, wenn eine Zustellung vAw vorgesehen ist (BGH MDR 10, 885 [BGH 19.05.2010 - IV ZR 14/08]; NJW 11, 1965 Rz 41). Das gilt auch im umgekehrten Fall (Ddorf MDR 10, 652, 653 [OLG Düsseldorf 10.02.2010 - I-15 U 276/09]; Zö/Schultzky Rz 3; Musielak/Voit/Wittschier Rz 2 mwN; str). Der BGH behandelt auch den Fall, dass der Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens bewusst nicht förmlich zugestellt worden ist, unter dem Gesichtspunkt des § 189 (BGH NJW 11, 1965 Rz 33 ff). Dessen bedarf es bei einer dem Sinn und Zweck der Hemmungsvorschriften entsprechenden Auslegung des § 204 I Nr 7 BGB aber gar nicht (ebenso Eyinck MDR 11, 1389, 1394; Grothe NJW 11, 1970, 1971 [BGH 27.01.2011 - VII ZR 186/09]).
Rn 5a
Der Mangel der unterbliebenen Zustellung einer beglaubigten Abschrift einer Klageschrift wird auch durch die von der Geschäftsstelle des Gerichts veranlasste Übermittlung einer einfachen Abschrift dieses Schriftstücks gem § 189 geheilt (vgl BGH NJW 16, 1517 Rz 17 ff; BGH NJW 17, 3721 [BGH 13.09.2017 - IV ZR 26/16] Rz 17; NJW 19, 1374 [BGH 21.02.2019 - III ZR 115/18] Rz 13). Gleiches gilt, wenn statt einer beglaubigten Abschrift die einfache Abschrift einer Nachweisurkunde iSd § 750 II zugestellt wird (vgl BGH NJW 17, 411 [BGH 13.10.2016 - V ZB 174/15] Rz 21 ff; NJW 22, 1816 Rz 24). Voraussetzung einer Heilung nach § 189 ist allerdings, dass keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit des zuzustellenden Schriftstücks bestehen. Das ist jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das beA des R...