Gesetzestext
1Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet. 2Bei Forderungen gilt als der Ort, wo das Vermögen sich befindet, der Wohnsitz des Schuldners und, wenn für die Forderungen eine Sache zur Sicherheit haftet, auch der Ort, wo die Sache sich befindet.
A. Normzweck und dogmatische Einordnung.
Rn 1
Die beiden Zuständigkeitstatbestände des § 23 S 1 regeln, wie sich aus dem Normzuschnitt ergibt, zuvörderst die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, zugleich aber auch die örtliche Zuständigkeit (St/J/Roth § 23 Rz 1; aA BGH NJW 93, 2683, 2684, der § 23 als Regelung der örtlichen Zuständigkeit ansieht, die nach den allg Regeln lediglich die internationale Zuständigkeit indiziere). Der Sinn und Zweck des § 23 besteht darin, die Rechtsverfolgung bei Sachverhalten mit Auslandsberührung zu erleichtern, ggf sie überhaupt erst zu ermöglichen, sowie ferner zu gewährleisten, dass im Inland vorhandenes Schuldnervermögen für den inländischen Vollstreckungszugriff bereitsteht (BGH NJW 93, 2683, 2684; Celle NJW 99, 3722 [OLG Celle 29.10.1998 - 13 W 106/98]; BAG RIW 13, 803 ff). Die – bis in die Rspr hinein – als sog ›exorbitanter‹ Gerichtsstand rechtspolitisch umstrittene Vorschrift (vgl BVerfGE 64, 18) wird häufig zu krit bewertet: Die gewählten Anknüpfungen (›inländisches Vermögen‹; ›Belegenheit des Streitobjektes‹) sind einsichtig und sinnvoll sowie völkerrechtlich und verfassungsrechtlich unbedenklich (BGH NJW 91, 3092; Lange S 188). Vom Normzweck nicht gedeckte Ergebnisse lassen sich durch eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass die Vorschrift einen hinreichenden Inlandsbezug erfordert, ohne weiteres vermeiden (BGH NJW 91, 3092; Frankf WM 11, 2360).
B. Tatbestand des § 23 S 1 Alt 1 (›Gerichtsstand des Vermögens‹).
I. Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche.
Rn 2
Der Streitgegenstand einer unter § 23 fallenden Klage muss auf die Geltendmachung eines vermögensrechtlichen Anspruchs abzielen, also eines solchen, der entweder auf einer vermögensrechtlichen Beziehung beruht oder im Wesentlichen wirtschaftlichen Interessen dienen soll (LAG Rheinland-Pfalz MDR 07, 1045 [LAG Rheinland-Pfalz 24.04.2007 - 1 Ta 89/07]). Demnach sind va Unterlassungs- oder Widerrufsansprüche, bei denen es ausschließlich um Ehrschutz oder den Schutz des allg Persönlichkeitsrechts um ihrer selbst willen und nicht auf Grund ihrer (vermeintlichen) Folgen für das Vermögen des Verletzten geht, als nichtvermögensrechtlich zu qualifizieren.
II. Vermögen.
Rn 3
Für die Beurteilung der Frage, ob der im Ausland ansässige Bekl inländisches Vermögen hat, kommt es zunächst auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an. Für die Begründung der internationalen Zuständigkeit reicht es aber aus, wenn der Bekl bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung inländisches Vermögen erwirbt (München MDR 15, 728). Unter den Begriff des ›Vermögens‹ iSd § 23 fällt jedes selbstständige, geldwerte Vermögensrecht (BGH NJW 89, 1154, 1155; 97, 325, 326), so dass hierunter neben geldwerten schuldrechtlichen Ansprüchen (zB Auszahlungsanspruch des Kunden gegen eine Bank, bei der er ein Konto führt: Hambg VersR 94, 746) sämtliche sonstigen Vermögensrechte (wie zB Immaterialgüterrechte) einschl der dinglichen Rechte zu subsumieren sind, auch wenn es sich bei Letzteren ›lediglich‹, wie zB im Falle einer Grundschuld, um Verwertungsrechte handeln sollte (BGH NJW 89, 1154, 1155 [BGH 22.11.1988 - VI ZR 226/87]). Inhaberaktien, auch sammelverwahrte bzw globalverbriefte Aktien, sind Wertpapiere und keine bloßen Wertrechte, sie stellen Vermögenswerte iSd § 23 dar, die unabhängig vom Sitz der AG sind, sodass es für die Belegenheit darauf ankommt, wo sich das den Vermögenswert verbriefende Inhaberpapier tatsächlich befindet (BayObLG Beschl v 8.10.20 – 101 SchH 120/20, Rz 29 mwN – juris). Ferner begründet eine Beteiligung an Gesellschaften mit Inlandssitz inlandsbelegenes ›Vermögen‹, wobei zwar zu erwägen ist, ob die Errichtung und Unterhaltung von Tochtergesellschaften durch ausländische Muttergesellschaften mit Auslandssitz einen Gerichtsstand aus § 23 gegen die Muttergesellschaft zur Folge haben kann (Wildmoser/Schiffer/Langoth RIW 09, 657, 661; wohl auch Mankowski EuZA 19, 386), aber die Beteiligung der beklagten ausl Muttergesellschaft an einer inländischen Tochtergesellschaft regelmäßig nicht genügt (BGH Urt v 20.4.93 – XI ZR 17/90, Rz 14 – juris; Hamm Urt v 5.12.18 – 8 U 50/17, Rz 48 – juris; BAG Urt v 25.6.13 – 3 AZR 138/11, Rz 36 – juris; Zö/Schultzky § 23 Rz 8; krit MüKoZPO/Patzina § 23 Rz 17). § 23 S 1 Alt 1 kann für Klagen gegen drittstaatliche Konzerntöchter einen Gerichtsstand am Sitz deutscher Muttergesellschaften begründen (Weller/Benz/Zimmermann NZG 19, 1121, auch zur Ankerklage gegen in der EU ansässige Bekl gem Art 8 Nr 1 EuGVVO). Anhand der vorstehend beschriebenen stark wortlautorientierten Auslegung scheiden von vorneherein Ansprüche aus, die nicht auf Vermögensmehrung gerichtet sind, wie etwa Ansprüche auf Herausgabe von Briefen, Fotogra...