Gesetzestext
1Kann sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist, so kann auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann; gleichzeitig wird ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt. 2Eine fristgemäß eingereichte Erklärung muss, eine verspätet eingereichte Erklärung kann das Gericht bei der Entscheidung berücksichtigen.
A. Normzweck.
Rn 1
Als Ausn zum verbotenen Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung gem § 296a hat eine Partei anstatt der sonst notwendigen Vertagung (§ 227) die Möglichkeit noch nachträglich zu erwidern zwecks Gewährung rechtlichen Gehörs.
B. TB-Voraussetzungen.
Rn 2
§ 283 gilt im Anwaltsprozess (§ 129 I), im Parteiprozess nur gem § 129 II. Im Verfahren der einstw Vfg kann Schriftsatznachlass nicht gewährt werden (Stuttg 5.1.17 2 U 95/16 juris).
I. Vorbringen des Gegners.
Rn 3
Betrifft neue Angriffs- und Verteidigungsmittel (§ 282) im vorbereiteten Schriftsatz, nicht: bloße Rechtsausführungen, Beweiswürdigung, uU bloßes Bestreiten. Bezieht sich nicht auf das, was – ausnahmsweise – dazu nach § 283 von der Gegenpartei noch vorgetragen wird (LG Hannover 23.3.11 23 O 15/09 juris).
II. Nicht rechtzeitig.
Rn 4
Dies ist die Mitteilung, wenn die Schriftsatzfrist (§ 132) oder Prozessförderungspflicht (§ 282 II) nicht beachtet sind.
III. Keine Erklärungsmöglichkeit.
Rn 5
Die überraschte Partei kann die Einlassung nicht einfach verweigern (Braunschw OLGR 95, 146), fehlende Information des Bevollmächtigten geht zu ihren Lasten (LG Berlin NJW 04, 781 [LG Berlin 02.10.2003 - 5 O 499/02]).
IV. Antrag.
Rn 6
Der Antrag muss von der überraschten Partei gestellt werden, nicht vom Gegner. Gericht soll Antragstellung anregen (Köln VersR 89, 278).
V. Entscheidung.
Rn 7
Über den beantragten Schriftsatznachlass ist bereits im Termin zu entscheiden, wenn kein sog Stuhlurteil ergeht (KG 17.4.23 – 10 W 52/23 juris). Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Verfahrensbeschleunigung als auch den Anspruch auf rechtliches Gehör zu berücksichtigen. Maßgeblich sind die konkreten Umstände des Einzelfalls (Ddorf GRUR-RR 23, 237). Die gleichzeitig mit Verkündungstermin bestimmte Frist muss angemessen sein; die Ablehnung der Nachfrist muss begründet werden (BVerfG NJW 92, 2144 [BVerfG 10.02.1992 - 1 BvR 784/91]). Eine Schriftsatzfrist muss auch dann gewährt werden, wenn das Gericht der Auffassung ist, das Vorbringen des Gegners sei unerheblich, denn diese nicht bindende Meinung kann sich ändern oder vom Berufungsgericht anders beurteilt werden (Schneider MDR 98, 137 [BSG 18.11.1997 - 2 RU 45/96]; aA Gaier MDR 97, 1093). Da im Termin übergebenen Schriftsätzen die Feststellung des Inhalts nicht sogleich möglich ist, gilt die Bewilligung der Frist nur vorsorglich (BGH NJW 65, 297 [BGH 11.11.1964 - IV ZR 320/63]).
Rn 8
Eine doppelte Fristsetzung für den Kl und zugleich für den Bekl zur Erwiderung auf den nachzulassenden Schriftsatz stellt einen unzulässigen Übergang ins schriftliche Verfahren dar (Schlesw SchlHA 83, 182); es muss dann nochmals mündlich verhandelt werden (Köln NJW-RR 87, 1152).
Rn 9
Eine vom Richterkollegium bewilligte Frist kann nur von ihm und nicht vom Vorsitzenden verlängert werden (§§ 224 II, 225); ein innerhalb der vom Vorsitzenden fälschlich verlängerten Frist eingereichter Schriftsatz ist trotzdem zu berücksichtigen (BGH NJW 83, 2030).
VI. Anfechtbarkeit.
Rn 10
Die Fristbestimmung oder Ablehnung ist nicht anfechtbar, allenfalls mit dem Rechtsmittel gegen das Endurteil (Naumbg 18.4.11 – 2 W 19/11 juris).
Das Gericht begeht eine Gehörsverletzung, wenn es über einen Antrag auf Schriftsatznachlass hinweggeht ohne Gründe anzuführen, die eine Ablehnung der Frist iSd § 283 rechtfertigen (BVerfG NJW 15, 1166 [BVerfG 10.12.2014 - 2 BvR 514/12]). In der Nichtgewährung eines Schriftsatznachlasses liegt keine Gehörsverletzung, wenn die Partei sich bei der Darlegung, was sie bei ausreichendem rechtlichen Gehör noch vorgetragen hätte, ausschließlich auf eine Wiederholung bereits in der mündlichen Verhandlung getätigter Ausführungen beschränkt (BFH/NV 11, 1717 [BFH 06.07.2011 - III S 4/11 (PKH)]) oder ihr bisheriger Sachvortrag nur noch substanziiert und belegt werden soll (BFH/NV 13, 569 [BFH 10.12.2012 - VI B 135/12]).
VII. Verwertung des Schriftsatzes.
Rn 11
Durch den Schriftsatznachlass erhält eine Partei nur das Recht, sich über die Richtigkeit des ihr nicht rechtzeitig mitgeteilten gegnerischen Vorbringens zu erklären; weitere Ausführungen sind unzulässig und unbeachtlich (BGH NJW 79, 1306; Karlsr WM 17, 1157). Im nachgelassenen Schriftsatz nicht zu berücksichtigen ist neuer Sachvortrag, der über eine Replik hinausgeht oder sich auf früheres, lediglich wiederholtes Vorbringen des Gegners bezieht (BGH MDR 22, 1042). Neue tatsächliche Behauptungen sind aber zu beachten, soweit sie als Reaktion auf das der Partei nicht rechtzeitig mitgeteilte gegnerische Vorbringen erfolgen (BGH NJW 18, 1686 [BGH 27.02.2018 - VIII ZR 90/17]). Das Nachschubrecht verlängert den Schluss der mündlichen Verhandlung für das nachgelassene V...