Rn 12
Die verschiedenen Arten des Beweises lassen sich einteilen nach dem Zweck des Beweises (Haupt- und Gegenbeweis), nach seinem Ziel (Vollbeweis und Glaubhaftmachung), nach der Art der Beweisführung (unmittelbarer und mittelbarer Beweis) und nach dem Verfahren (Streng- und Freibeweis).
I. Haupt- und Gegenbeweis.
1. Hauptbeweis.
Rn 13
Der Hauptbeweis ist der Beweis der objektiv beweisbelasteten Partei für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der jeweils anzuwendenden Rechtsnorm. Er kann mit allen Beweismitteln geführt werden, direkt oder auch indirekt mit Hilfe von Indizien. Welche Partei ihn zu führen hat, ist eine Frage der Verteilung der objektiven Beweislast (§ 286 Rn 59). Der Hauptbeweis ist geführt, wenn der Beweisführer dem Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit der behaupteten Tatsache verschafft hat (sog Vollbeweis; zu dem dazu erforderlichen Beweismaß s § 286 Rn 23 ff).
2. Gegenbeweis.
Rn 14
Der Gegenbeweis obliegt der nicht beweisbelasteten Partei. Er dient dazu, dass dem Gericht die tatsächlichen Behauptungen der beweisbelasteten Partei zweifelhaft bleiben. Der Gegenbeweis ist deshalb schon dann erbracht, wenn die – vorläufige – Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit einer beweisbedürftigen Tatsache wieder erschüttert wird (BGH NJW 86, 2571, 2572 [BGH 10.06.1985 - III ZR 178/84]; NJW-RR 18, 551, 552 [BGH 23.11.2017 - I ZR 51/16] Rz 24; aA Anders/Gehle/Anders ZPO Vor § 284 Rz 21). Dies wird in der Praxis nicht immer beachtet (vgl zB BGH NJW 17, 2285, 2286 [BGH 31.05.2017 - VIII ZR 224/16] Rz 18; MDR 20, 431, 432 [BGH 28.01.2020 - VIII ZB 39/19] Rz 24; NJW 20, 1225, 1226 [BGH 28.01.2020 - VI ZB 38/17] Rz 7 ff; OVG Berlin-Brandenburg NJW 18, 3470, 3471 Rz 19, wo jeweils der Gegenbeweis mit dem Beweis des Gegenteils verwechselt wird; s dazu Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 2 Rz 11; Jäckel Rz 205). Relationstechnisch darf der Gegenbeweis eigentlich nur erhoben werden, wenn der Hauptbeweis erfolgreich erbracht worden ist (Celle WM 74, 246; Ddorf MDR 95, 959). In der Praxis wird er allerdings aus prozessökonomischen Gründen üblicherweise mit dem Hauptbeweis zusammen angeordnet und in einem Termin erhoben. Das Gericht prüft dann in einer Gesamtschau, ob der Hauptbeweis und, wenn ja, der Gegenbeweis erbracht ist. Der Gegenbeweis kann auf zweierlei Weise geführt werden (Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 2 Rz 5 ff): mit dem direkten Gegenbeweis wird das beweisbedürftige Tatbestandsmerkmal, von dessen Vorliegen sich das Gericht auf Grund des Hauptbeweises eine vorläufige Überzeugung gebildet hat, unmittelbar angegriffen. Der direkte Gegenbeweis kann allerdings gem § 445 II nicht mit Hilfe einer Parteivernehmung geführt werden. Der Grund ist darin zu sehen, dass der betreffenden Partei nicht zugemutet werden soll, ein ihr günstiges Prozessergebnis durch ihre eigene Aussage wieder in Frage zu stellen (Ddorf MDR 95, 959). Demgegenüber zielt der indirekte Gegenbeweis darauf ab, den Schluss auf das Nichtvorliegen des dem Hauptbeweis zugrunde liegenden Tatbestandsmerkmals durch Indizien, dh tatbestandsfremde Tatsachen, zu widerlegen oder jedenfalls in Zweifel zu ziehen (ThoPu/Seiler vor § 284 Rz 11). Diese Indizien müssen – im Gegensatz zur sonstigen Führung des Gegenbeweises – zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden (BGHZ 6, 169, 171 = NJW 52, 1137). Trotz § 445 II kann der indirekte Gegenbeweis auch mit Hilfe einer Parteivernehmung geführt werden (BGHZ 33, 63, 66 f = NJW 60, 1950). Ergeht die Entscheidung auf Grund eines erfolgreich geführten – direkten oder indirekten – Gegenbeweises, so handelt es sich um eine non liquet Entscheidung, weil die objektiv beweisbelastete Partei dann den Hauptbeweis nicht hat führen können. Gelingt der Gegenbeweis dagegen nicht, verbleibt es beim erfolgreich geführten Hauptbeweis. Die gerichtliche Entscheidung beruht dann auf einem feststehenden, dh bewiesenen Sachverhalt.
3. Beweis des Gegenteils.
Rn 15
Der Beweis des Gegenteils wird in § 292 S 1 erwähnt. Er dient va der Widerlegung gesetzlicher Vermutungen (§ 292 Rn 4), von Beweisregeln (§ 286 Rn 18) und von öffentlichen Urkunden (§§ 415 ff). Anders als beim Gegenbeweis genügt es für die erfolgreiche Beweisführung nicht, dass das Gericht in seiner Überzeugung unsicher geworden ist; vielmehr muss dem Gericht die volle Überzeugung von der Unwahrheit des vermuteten Tatbestandsmerkmals verschafft werden (BGHZ 212, 224, 246 Rz 60 = NJW 17, 1093, 1099; BGH NJW 24, 677, 678 Rz 12). Der Beweis des Gegenteils ist ferner dann zu führen, wenn die Rspr – wie etwa bei der Arzthaftung wegen eines groben Behandlungsfehlers (jetzt für den vertraglichen Bereich normiert in § 630h V 1 BGB) – im Wege der Rechtsfortbildung eine Umkehr der objektiven Beweislast annimmt. So muss ein Arzt, dem ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist, den vollen Beweis erbringen, dass seine Pflichtverletzung den Schaden nicht verursacht hat (s dazu ausf Baumgärtel/Katzenmeier Bd 3 § 823 Anh II Rz 12 ff sowie unten § 286 Rn 75). Der Sache nach ist der Beweis des Gegenteils keine dritte Art des Beweises, sondern eine Form des Hauptbeweises ...