Rn 50

Bei der Qualifizierung eines Beweismittels als ungeeignet ist besondere Vorsicht geboten, weil die Gefahr einer vorweggenommenen Beweiswürdigung hier besonders groß ist (vgl BVerfG NJW-RR 01, 1006, 1007; BGH NJW 22, 2935 = MDR 22, 1299 = Bespr Laumen MDR 22, 1529f [BGH 16.08.2022 - VI ZR 1151/20]). Weder die Unwahrscheinlichkeit einer Tatsache noch die Wahrnehmung durch den Zeugen berechtigen das Gericht, von einer Beweisaufnahme abzusehen (BGH NJW-RR 13, 9, 10 [BGH 12.09.2012 - IV ZR 177/11] Rz 14). Ein Beweisantrag darf also nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die behauptete Tatsache sei höchst unwahrscheinlich (vgl BVerfG NJW-RR 01, 1006, 1007), es sei davon auszugehen, dass die Zeugen nichts zum Beweisthema beitragen könnten (BGH MDR 19, 302, 303 = Bespr Laumen MDR 19, 467 [BGH 12.12.2018 - XII ZR 99/17]), dass die Zeugen die ›eigentlichen Vorgänge‹ nicht wahrgenommen hätten (BGH NJW-RR 21, 58, 59 [BGH 20.10.2020 - VI ZR 577/19] Rz 11 ff), dass die Zeugen die Behauptungen des Beklagten nicht bestätigen könnten (BGH NJW-RR 21, 861, 862 Rz 11 ff = Bespr Laumen MDR 21, 1050f [BGH 12.05.2021 - XII ZR 152/19]), dass ein Zeuge von vornherein unglaubwürdig (vgl BGH NJW 88, 566, 567 [BGH 03.11.1987 - VI ZR 95/87] mit Anm Walter zur sog Beifahrerrechtsprechung) bzw von zu geringer Aussagekraft (BGH MDR 05, 164 [BGH 13.09.2004 - II ZR 137/02]) oder dass die Beweisaufnahme mit zu hohen Kosten verbunden sei (BVerfG NJW 79, 413 [BVerfG 08.11.1978 - 1 BvR 158/78]). Völlig ungeeignet ist ein Beweismittel nur dann, wenn ohne Rücksicht auf das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme die Lebenserfahrung die sichere Prognose zulässt, dass die Beweiserhebung mit dem beantragten Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erbringen kann (BVerfG NJW 04, 1443 [BVerfG 02.10.2003 - 2 BvR 149/03]: Benennung einer namentlich nicht genannten Bedienung einer Diskothek für einen für sie unbedeutenden, 9 Monate zurückliegenden Vorgang; BGH NJW-RR 15, 1151, 1152 [BGH 19.05.2015 - XI ZR 168/14] Rz 13). Es muss jede Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben könnte (BGHZ 157, 79, 84 = NJW 04, 767, 769; BGH MDR 18, 1143, 1144 Rz 9 = Bespr Vossler MDR 18, 1300 [BGH 10.04.2018 - VI ZR 378/17]; 22, 115 Rz 6 = Bespr Schwenker MDR 22, 221 [BGH 02.11.2021 - IX ZR 39/20]). Nicht geeignet ist danach etwa die Benennung eines Zeugen zu Feststellungen über einen regionalen Mietwagenmarkt (BGH NJW 07, 2122, 2124 [BGH 20.03.2007 - VI ZR 254/05]: Sachverständigenbeweis erforderlich; zur Notwendigkeit einer stationären Heilbehandlung Kobl NJW-RR 10, 41 [OLG Koblenz 09.07.2009 - 10 U 959/08]: ebenfalls Sachverständigenbeweis erforderlich), zur Klärung der Frage, ob ein bestimmtes Vorgehen dem fachmedizinischen Standard entspricht (BGH MDR 21, 616 = Bespr Laumen MDR 21, 795 – eigene Sachkunde des Gerichts reicht nicht aus; Kobl GesR 17, 771), für die fehlende Notwendigkeit einer Operation (Kobl VersR 14, 1335: Sachverständigenbeweis erforderlich), zur Ursächlichkeit eines Verkehrsunfalls für die körperlichen Beschwerden des Klägers (BerlVGH NJW-RR 09, 1362, 1363 [VerfGH Berlin 16.12.2008 - VerfGH 121/03]: Sachverständigenbeweis erforderlich) oder zum voraussichtlichen Erlös eines Grundstücks in der Zwangsversteigerung (BGH NJW 93, 1796, 1797 [BGH 18.03.1993 - IX ZR 198/92]). Ungeeignet als Beweismittel ist ferner eine ärztliche Diagnose für die Kausalität zwischen Unfallereignis und Verletzung (Hamm VersR 17, 1465f). Ist die Vaterschaft durch ein Blutgruppengutachten bereits ›praktisch erwiesen‹ (Wahrscheinlichkeit von 99,99 %), so kann der Antrag auf Einholung eines DNA-Gutachten abgelehnt werden, wenn Hinweise auf den Mehrverkehr der Mutter nicht vorhanden sind (Brandbg MDR 00, 888, 889 [OLG Brandenburg 23.03.2000 - 9 UF 289/98]; anders BGH NJW 06, 3416, 3418 [BGH 03.05.2006 - XII ZR 195/03], wenn für Mehrverkehr Zeuge benannt ist).

 

Rn 51

Ungeeignet ist ein Beweisangebot, das auf die Vernehmung von Zeugen gerichtet ist, die in einem Strafverfahren zu den gleichen Fragen von einem Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht haben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Zeugen nunmehr bereit sind, Aussagen zu machen (Dresd NJW-RR 18, 871, 872 [OLG Dresden 27.03.2018 - 4 U 1611/17] Rz 13). Die Ungeeignetheit eines Zeugen kann sich auch aus einer Behinderung ergeben, etwa die Benennung eines Tauben für den Inhalt eines Gesprächs oder eines Blinden für einen Unfallhergang. Auch die Vernehmung eines Kindes kann abgelehnt werden, wenn es im Hinblick auf sein Alter nicht in der Lage war, den zu beweisenden Vorgang intellektuell zu erfassen. Als völlig ungeeignetes Beweismittel sieht die Rspr schließlich zu Recht eine polygraphische Untersuchung (Lügendetektor) an, und zwar unabhängig davon, ob der Test mit Zustimmung der betreffenden Partei oder gar beider Parteien erfolgt ist (BGHSt 44, 308, 319 ff für den Strafprozess; BGH NJW 03, 2527, 2528 = BGHReport 03, 1105,...

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