1. Allgemeines.
Rn 43
Anders als die StPO in § 244 III–V kennt die ZPO keine Vorschrift, in der die Voraussetzungen und das Verfahren für die Ablehnung von Beweisanträgen geregelt sind. Aus dem Recht der Parteien auf Beweis (Rn 26) und ihrem Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG) folgt jedoch die Pflicht des Gerichts, die angebotenen entscheidungserheblichen Beweismittel auch auszuschöpfen (BVerfG NJW-RR 01, 1006, 1007; NJW 03, 1655, 1656 [BVerfG 25.10.2002 - 1 BvR 2116/01]). Im Hinblick darauf sollte von der Möglichkeit, Beweisanträge abzulehnen, nur mit äußerster Vorsicht Gebrauch gemacht werden (BGH NJW 00, 3718, 3720). Namentlich dürfen keine übertriebenen Anforderungen an die Substantiierung des Sachvortrags gestellt werden (vgl BGH NJW-RR 10, 1217, 1218 [BGH 11.05.2010 - VIII ZR 212/07] Rz 10; Frankf NJW-RR 10, 1689, 1690; s dazu näher unten § 286 Rn 93 f). Die unberechtigte Ablehnung eines Beweisantrages stellt einen Verstoß gegen Art 103 I GG dar und rechtfertigt die Berufung oder Revision (vgl BGH NJW 92, 1768, 1769 [BGH 29.01.1992 - VIII ZR 202/90] – unterbliebene Ladung eines im Ausland wohnenden Zeugen; BGH NJW 09, 2604 f [BGH 12.05.2009 - VI ZR 275/08] – Übergehen eines Antrags auf ergänzende Begutachtung; BGH NJW-RR 17, 72 [BGH 23.08.2016 - VIII ZR 178/15] Rz 10 = Bespr Bacher, MDR 17, 15 f – Übergehen eines angebotenen Zeugenbeweises; BGH MDR 20, 913, 914 [BGH 26.05.2020 - VIII ZR 64/19] Rz 23 ff; NJW-RR 21, 1294, 1295 [BGH 11.05.2021 - VI ZR 1206/20] – jew Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens) und ggf die Verfassungsbeschwerde (BVerfG NJW-RR 96, 183, 184 [BVerfG 29.08.1995 - 2 BvR 175/95] – abgelehnter Antrag auf Erläuterung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens; BVerfG NJW 09, 1585 f [BVerfG 10.02.2009 - 1 BvR 1232/07] – Nichteinholung eines angebotenen Sachverständigengutachtens; BGH MDR 13, 486 – Nichteinholung eines beantragten Schriftgutachtens; BVerfG GesR 17, 574, 577 Rz 47 ff – Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisantrages), jedenfalls dann, wenn die Ablehnung im Prozessrecht keine Stütze findet (BGH NJW 18, 2803, 2804 [BGH 10.04.2018 - VI ZR 378/17] Rz 7). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebotes auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruht, wenn also der Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst (BGH MDR 22, 1299 = Bespr Laumen MDR 22, 1529 ff [BGH 16.08.2022 - VI ZR 1151/20]). Hat das Gericht ein Beweisangebot übergangen, weil der entsprechende Auslagenvorschuss nicht eingezahlt worden ist, so verletzt es ebenfalls den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör, wenn es nicht zuvor für die Einzahlung eine Frist gesetzt hat (BVerfG NJW-RR 04, 1150, 1151). Das Gleiche gilt, wenn sich das Gericht allein auf ein Geständnis des Beklagten im Strafprozess stützt, ohne die auf die Unrichtigkeit dieses Geständnisses gerichteten Beweisangebote im Zivilprozess zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 13, 9, 10 [BGH 12.09.2012 - IV ZR 177/11]; MDR 21, 1408 = Bespr Laumen MDR 21, 1376 f [BGH 26.08.2021 - III ZR 189/19]; weitere Beispiele bei Fellner MDR 20, 900, 901 f).
2. Ablehnungsgründe.
Rn 44
In Anlehnung an § 244 II–IV StPO hat die Rspr eine Reihe von Gründen entwickelt, bei deren Vorliegen eine Ablehnung von Beweisanträgen ausnahmsweise zulässig ist (ausf Laumen MDR 20, 193 ff; Ullenboom ZZP 133, 103 ff). Eines besonderen Verfahrens für die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf es nicht. Insbesondere ist eine Ablehnung schon darin zu sehen, dass das Gericht einen angebotenen Beweis nicht erhebt (Zö/Greger Vor § 284 Rz 8b). Ebenso wenig ist eine gesonderte Begründung in den Entscheidungsgründen zwingend erforderlich; sie empfiehlt sich allerdings in Zweifelsfällen sowie dann, wenn eine Partei erkennbar besonderen Wert auf die Erhebung eines bestimmten Beweises gelegt hat (vgl Jäckel Rz 290). Dem vollständigen Übergehen von Beweisanträgen steht es iÜ gleich, wenn eine zunächst angeordnete Beweisaufnahme vom Gericht nicht zu Ende geführt wird (BGH NJW 92, 1768 [BGH 29.01.1992 - VIII ZR 202/90] – Absehen von der Vernehmung eines im Ausland lebenden Zeugen).
a) Ermessen des Gerichts.
Rn 45
Die Ablehnung eines Beweisantrages kommt zunächst in Betracht, wenn die Beweisaufnahme ohnehin im Ermessen des Gerichts steht. So kann es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen, wenn es meint, selbst die erforderliche Sachkunde zu besitzen (BGH NJW 00, 1946, 1947 [BGH 21.03.2000 - VI ZR 158/99]). Im Anwendungsbereich des § 287 steht es ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es eine beantragte Beweisaufnahme anordnet (BGHZ 133, 110, 115 = NJW 96, 2501, 2502; zu den Grenzen § 287 Rn 21). Schließlich kann das Gericht einen Beweisantrag zurückweisen, wenn er verspätet angetreten worden ist (§§ 282, 296 II, 530, 531 II).
b) Mangelnde Bestimmtheit des Beweisantrages.
Rn 46
Der Beweisantrag muss das Beweisthema und das Beweismittel genau bezeichnen. Notwendiger Inhalt eines Beweisantrags ist des...