Rn 86
In Verfahren mit Verhandlungsmaxime ist es im Wesentlichen allein Sache der Parteien, für die tatsächlichen Grundlagen einer gerichtlichen Entscheidung zu sorgen, mag auch das Gericht gem § 139 verpflichtet sein, die Parteien zu einer vollständigen Erklärung über alle erheblichen Tatsachen anzuhalten. Die Rechtsfolgen von fehlendem oder nicht genügendem Tatsachenvortrag regelt die Behauptungslast. Darunter ist die Last der Parteien zu verstehen, diejenigen konkreten Tatsachenbehauptungen aufzustellen, die die abstrakten Voraussetzungen des jeder Partei günstigen Rechtssatzes enthalten (Rosenberg S. 44). Wie bei der Beweislast verbergen sich hinter dem Begriff ›Behauptungslast‹ verschiedene Phänomene (vgl Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 9 Rz 58 ff).
a) Objektive und subjektive Behauptungslast.
Rn 87
Die objektive Behauptungslast betrifft die Frage, wie das Gericht zu entscheiden hat, wenn ihm keine oder nicht genügende Tatsachenbehauptungen vorliegen (St/J/Thole Rz 98). Demgegenüber wird mit der subjektiven Behauptungslast danach gefragt, welche Tatsachenbehauptungen eine Partei aufstellen muss, um im Prozess Erfolg zu haben (Prütting S 44).
b) Abstrakte und konkrete Behauptungslast.
Rn 88
Die abstrakte Behauptungslast (auch ›Anfangsdarlegungslast‹ genannt) beantwortet die Frage, welche Behauptungen eine Partei ungeachtet eines Vortrags der Gegenseite – also insb zu Beginn des Prozesses – aufstellen muss, um ihr Prozessziel zu erreichen. Sie wird ferner relevant bei der Prüfung der Schlüssigkeit des Klagevorbringens im Falle der Säumnis des Beklagten (§ 331 II). Bei der konkreten Behauptungslast oder Substantiierungslast geht es schließlich darum, wie konkret – dh substantiiert – die Tatsachenbehauptungen einer Partei im Hinblick auf den Sachvortrag der Gegenpartei sein müssen, um vom Gericht berücksichtigt werden zu können. Während sich die abstrakte Behauptungslast grds mit der objektiven Beweislast deckt und stets bei einer Partei verbleibt, korrespondiert die konkrete Behauptungslast mit der konkreten Beweisführungslast (Rn 61). Sie kann deshalb wie diese im Laufe eines Rechtsstreits zwischen den Parteien hin- und herpendeln. Sie ist insb abhängig von der jeweiligen Prozesssituation und der Einlassung des Gegners (vgl BGH NJW 05, 2710, 2711; VersR 16, 812, 813 Rz 18).
Rn 89
Eine Erscheinungsform der konkreten Behauptungslast ist auch die sog sekundäre Behauptungslast (ausf Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 22 Rz 1 ff; Laumen MDR 19, 193 ff). Steht die an sich behauptungs- und beweisbelastete Partei außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs und kennt sie deshalb die maßgebenden Tatsachen nicht näher, während sie der anderen Partei bekannt und ihr ergänzende Angaben zumutbar sind, obliegt der nicht beweisbelasteten Partei eine gesteigerte Substantiierungslast (BGH NJW-RR 02, 1309, 1310 [BGH 13.06.2002 - VII ZR 30/01]; NJW 12, 3774, 3775 Rz 17 ff; MDR 15, 726 f [BGH 10.02.2015 - VI ZR 343/13]; Kiethe MDR 03, 781, 782 f). Der Kl genügt dann seiner – zunächst abstrakten – Behauptungslast durch eine lediglich pauschale Darstellung des Sachverhalts (vgl BGH NJW 12, 3774, 3775 [BGH 13.06.2012 - I ZR 87/11] Rz 17 – ›gewisse Wahrscheinlichkeit‹; BGH NJW 15, 947, 948 [BGH 17.12.2014 - IV ZR 90/13] Rz 21 – ›schlüssige Indizien‹; BGH NJW 18, 2412, 2414 Rz 26 – ›ausreichende Anhaltspunkte‹;BGHZ 234. 56. 86 Rz 82 = NJW 22, 2989, 2989 [BGH 02.06.2022 - I ZR 140/15] – ›greifbare Anhaltspunkte‹; krit zur mangelnden Bestimmtheit dieses Merkmals Laumen MDR 19, 193, 196; Katzenmeier MedR 20, 900, 902). Es ist dann Sache der beklagten Partei, den pauschalen Vortrag des Klägers durch eine detaillierte Schilderung der streitigen Vorgänge zu erwidern. In diesem Rahmen ist er im Einzelfall auch gehalten, eigene Nachforschungen zu betreiben (BGH NJW 16, 3244, 3245 [BGH 28.06.2016 - VI ZR 559/14] Rz 18). Geschieht dies nicht, greift die Geständnisfiktion des § 138 III ein (BGH NJW 18, 2412, 2413 [BGH 18.01.2018 - I ZR 150/15] Rz 17; 21, 1759, 1761 Rz 19). Ist der Kl nicht einmal in der Lage, eine bestimmte Behauptung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzustellen, kann es auch nicht zu einer sekundären Behauptungslast auf Seiten des Gegners kommen. Eine sekundäre Behauptungslast ohne primäre Behauptungslast des Gegners ist nicht vorstellbar (aA Hamm NJW 14, 1894, 1895 [OLG Hamm 11.10.2013 - 9 U 35/13]; MDR 21, 1192 f [OLG Hamm 26.05.2021 - 7 U 55/20], s dazu unten § 292 Rn 4 sowie Laumen, MDR 16, 370 ff; Gomille JZ 18, 711, 714).
Rn 90
So trifft etwa den Inhaber eines Internetanschlusses, von dem aus ein urheberrechtlich geschütztes Werk ohne Zustimmung des Berechtigten öffentlich zugänglich gemacht worden ist, eine gesteigerte Substantiierungslast, wenn er geltend macht, nicht er, sondern ein Dritter habe die Rechtsverletzung begangen (BGHZ 200, 76, 80 Rz 27 ff = NJW 14, 2360; BGHZ 210, 224, 232 Rz 28 = NJW 17, 333, 335 m Anm Hohlweck). Dazu gehört es auch, dass er den Namen seines volljährigen Kindes preisgibt, das ihm gegenüber die Begehung der Rechtsverletzung zugegeben hat (BGH MDR 17, 1315, 1316...