Rn 59
Die objektive Beweislast oder Feststellungslast betrifft die Frage, zu wessen Nachteil es geht, wenn das Vorhandensein bzw Nichtvorhandensein eines entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmals ungeklärt bleibt. Sie dient der Überwindung eines non liquet und sichert damit gleichzeitig die aus dem Justizgewährungsanspruch folgende Entscheidungspflicht des Gerichts. Obwohl non liquet Entscheidungen zum Teil als nachteilig empfunden werden (vgl BGH 26.2.70 – III ZR 218/67, juris Rz 16 – ›notwendiges Übel‹), gewährleistet die Regelung der objektiven Beweislast letztlich auch Rechtssicherheit und dient damit dem Rechtsfrieden. Es besteht heute Einigkeit darüber, dass sich die Frage nach der objektiven Beweislast in allen Verfahrensarten stellt, und zwar unabhängig davon, ob das Verfahren von der Verhandlungsmaxime oder vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht wird (so bereits Rosenberg S 24 ff). Den Regeln über die Verteilung der objektiven Beweislast liegen generalisierende Risikozuweisungen des Gesetzgebers zugrunde (BGH NJW-RR 10, 1378, 1379 Rz 12; Prütting S 17). Schon aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichheit der Rechtsanwendung müssen diese Regeln grds vor Beginn des Prozesses abstrakt und generell festliegen (BGHZ 159, 48, 55 = NJW 04, 2011, 2013 = BGHReport 04, 1077, 1079 mit Anm Laumen). Der Rechtsuchende bzw sein Anwalt müssen bereits vor Beginn eines Prozesses wissen, was sie zu beweisen haben und welche Partei den Nachteil der Beweislosigkeit zu tragen hat (Laumen NJW 02, 3739, 3741). Diese abstrakt-generelle Ausgestaltung der Beweislastverteilung ist auch verfassungsrechtlich geboten (BVerfGE 52, 131, 147 [BVerfG 24.07.1979 - 2 BvF 1/78] = NJW 79, 1925). Sie folgt auch aus der Existenz des § 309 Nr 12 BGB, der voraussetzt, dass bereits vor einer entsprechenden vertraglichen Abänderung eine abstrakt festliegende Beweislastverteilung vorhanden ist. Aus dem Rechtsnormcharakter der Beweislastregeln folgt zugleich, dass die gesetzlich vorgegebene Verteilung der objektiven Beweislast auch während des Prozesses vom Gericht nicht ohne Weiteres verändert werden kann, was von der Rspr nicht immer beachtet wird. Die grds mögliche Abweichung von den Beweislastregeln setzt vielmehr stets die dringende Notwendigkeit einer Modifizierung der vorhandenen Regeln mit Hilfe einer methodisch begründeten Rechtsfortbildung voraus (vgl BGH NJW 01, 78, 79 [BGH 13.10.2000 - V ZR 356/99]; Laumen MDR 23, 471, 473 f; s.a. Rn 71). Ausgeschlossen ist deshalb von vornherein ein Abweichen von der normativ festgelegten Verteilung der objektiven Beweislast auf Grund des konkreten Einzelfalles, etwa aus Gründen der Billigkeit oder der Beweisnot einer Partei (BGH NJW-RR 97, 892; 10, 1378, 1379; Ddorf MDR 12, 757; Hamm NJW-RR 14, 328, 329; aA etwa LG Coburg VersR 20, 1233 f bei unverschuldeter Beweisnot eines Versicherers). Es ist deshalb durchaus problematisch, die Verteilung der objektiven Beweislast von einem innerprozessualen Umstand – etwa der Grobheit eines Behandlungsfehlers – abhängig zu machen.