Rn 60

Die subjektive Beweislast oder Beweisführungslast betrifft die Frage danach, welche Partei im Rechtsstreit durch aktives Tun – etwa durch das Stellen von Beweisanträgen oder die Benennung von Beweismitteln – den Beweis einer streitigen Tatsache führen muss, um den Prozessverlust zu vermeiden. Sie ist nur denkbar in Verfahren unter Geltung der Verhandlungsmaxime – dh in weiten Teilen des Zivilprozesses und im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren – und dient dementsprechend dazu, dem Richter in solchen Verfahren die Beschaffung des Prozessstoffs abzunehmen. Ihre eigenständige Bedeutung zeigt sich etwa in den §§ 445 I, 597 II, in denen ausdrücklich von dem einer Partei ›obliegenden Beweis‹ die Rede ist. Außerdem darf keine Beweisaufnahme stattfinden, wenn allein die nicht beweisführungsbelastete Partei einen Beweis angeboten hat (Celle VersR 74, 663). Schließlich hat das Gericht seine Hinweise zur Bezeichnung der Beweismittel nach § 139 I in erster Linie an die beweisführungsbelastete Partei zu richten.

 

Rn 61

Im Rahmen der subjektiven Beweislast ist weiter zu unterscheiden zwischen der abstrakten und der konkreten Beweisführungslast. Die abstrakte Beweisführungslast regelt die Frage, welcher Partei vor und zu Beginn des Prozesses die Beweisführungslast obliegt (Gottwald Jura 80, 225, 226). Sie ist maßgeblich dafür, von welcher Partei die Beweisinitiative auszugehen hat. Bleibt die betreffende Partei untätig, ergeht eine Beweislastentscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast. Die Verteilung der abstrakten Beweisführungslast entspricht dementsprechend in jeder Hinsicht derjenigen der objektiven Beweislast (Prütting S 28). Demgegenüber kommt der konkreten Beweisführungslast eine erhebliche praktische Bedeutung zu (s dazu ausf Laumen, FS 200 Jahre Heymanns Verlag, 15, 81 ff). Sie betrifft die Frage, welche Partei in einer bestimmten Prozesssituation, in der das Gericht bereits eine vorläufige Überzeugung vom Vorliegen einer beweisbedürftigen Tatsache gewonnen hat, einen Beweis antreten muss, um den Prozess zu gewinnen. Die konkrete Beweisführungslast ist damit streng zu trennen von der abstrakt-generell geregelten abstrakten Beweisführungslast und der objektiven Beweislast. Zu Beginn des Prozesses deckt sich die konkrete mit der abstrakten Beweisführungslast. Hat die beweisführungsbelastete Partei das Gericht vom Vorliegen einer streitigen Tatsache – vorläufig – überzeugt, kehrt sich die Beweisführungslast um; es ist dann Sache des Gegners, die Überzeugung des Gerichts durch die Führung des Gegenbeweises wieder zu erschüttern. Die konkrete Beweisführungslast entwickelt sich also entsprechend dem jeweiligen Stand der richterlichen Beweiswürdigung und lässt die Verteilung der objektiven Beweislast unberührt. Sie kann deshalb auch im Laufe eines Rechtsstreits zwischen den Parteien mehrfach ›hin und her pendeln‹ (Prütting S 29). Eine Umkehr der konkreten Beweisführungslast erfolgt zB beim Anscheinsbeweis (Rn 31) und häufig bei einer Beweisvereitelung (Rn 104), aber auch in vielen anderen Prozesssituationen (vgl die Beispiele bei Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 9 Rz 49 ff). Die methodische Trennung von objektiver und subjektiver Beweislast wird leider in der Praxis bislang weitgehend vernachlässigt (eine Ausnahme bildet zB die Entscheidung BGH NJW 86, 2570 [BGH 22.01.1986 - IVa ZR 105/84]). Dies gilt insb für die Unterscheidung von Umkehr der objektiven Beweislast einerseits und Umkehr der konkreten Beweisführungslast andererseits, indem stets nur ohne Differenzierung von ›Beweislastumkehr‹ die Rede ist (s.u. Rn 71).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge