Rn 47
Ein Anscheinsbeweis für den Zugang von Willenserklärungen kommt nicht in Betracht. Dies gilt sowohl für die Übermittlung durch einfache Briefe, Einschreibebriefe, Telefaxe (BGH NJW 95, 665, 666 [BGH 07.12.1994 - VIII ZR 153/93]; aA München MDR 99, 286 iVm einer eidesstattlichen Versicherung des Absenders; Celle NJOZ 08, 3072, 3078) oder E-Mails (LAG Köln MDR 2022, 392 = Bespr Laumen MDR 22, 546 [LAG Köln 11.01.2022 - 4 Sa 315/21]; zum Ganzen ausf Baumgärtel/Kessen Bd 2 § 130 Rz 2 ff). Zwar ist ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass abgesendete Willenserklärungen den Empfänger auch erreichen, nach der Statistik durchaus anzuerkennen. Da der Erklärungsgegner den negativen Beweis der ernsthaften Möglichkeit, dass ihm die Willenserklärung nicht zugegangen ist, regelmäßig nicht zu führen vermag, würde das an sich zu beweisende Merkmal des Zugangs praktisch durch den bloßen Beweis der Absendung ersetzt, was der in § 130 I 1 BGB zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung widerspricht (BGHZ 24, 308, 312 ff = NJW 57, 1230, 1231). Eine Ausnahme wird man machen müssen bei sog Einwurf-Einschreiben, wenn ein von dem zustellenden Mitarbeiter der Post unterschriebener Auslieferungsbeleg vorgelegt wird, in dem die Tatsache der Zustellung bestätigt wird (BGHZ 212, 104, 113 Rz 31, 33 = NJW 17, 68, 70; Saarbr OLGR 07, 601; Baumgärtel/Kessen Bd 2 § 130 Rz 21 mwN; einschränkend Uth/Barthen NJW 21, 685 ff). Bei der Frage des Zugangs von Telefaxen darf sich der Empfänger nach der Rspr (BGH NJW-RR 14, 683, 685 Rz 30; Frankf IBR 10, 267; Kobl VersR 13, 875, 876) allerdings nicht mit dem bloßen Bestreiten des Zugangs begnügen. Behauptet der Empfänger der Sendung, diese nicht erhalten zu haben, so ist er iRd sekundären Darlegungslast gehalten, sein Fax-Eingangsjournal vorzulegen, um darzulegen, dass er entweder zum maßgeblichen Zeitpunkt kein Telefax oder ggf ein Schreiben mit anderem Inhalt vom Absender erhalten hat. Folgt man dieser Auffassung, kommt es auf die Frage, ob sich aus dem Sendebericht ein Anscheinsbeweis herleiten lässt, ohnehin nicht mehr an. Bei der Versendung einer E-Mail rechtfertigen sowohl eine Eingangsbestätigung als auch eine Lesebestätigung im Wege des Anscheinsbeweises den Schluss darauf, dass die E-Mail auch zugegangen ist (BGH WM 17, 1614 Rz 11; Mankowski NJW 04, 1901, 1902; Baumgärtel/Kessen Bd 2 § 130 Rz 30). Dagegen besteht kein Anscheinsbeweis dafür, dass eine E-Mail vom angegebenen Absender stammt (BGH MDR 17, 1268, 1269 [BGH 06.07.2017 - IX ZB 73/16] Rz 12 ff; Bremen NJW-RR 12, 1519 f [OLG Bremen 21.06.2012 - 3 U 1/12]; s dazu näher Baumgärtel/Kessen Bd 2 § 126a Rz 18 ff mN zur Gegenmeinung). Daran ändert auch nicht die Vorlage eines Sendeprotokolls oder die bestätigende Zeugenaussage über die Versendung etwas (BGH aaO). Steht fest, dass eine Willenserklärung zugegangen ist, kann dem ersten Anschein nach davon ausgegangen werden, dass sie vom Empfänger auch zur Kenntnis genommen worden ist, zumal die tatsächliche Kenntnisnahme ohnehin für die Wirksamkeit des Zugangs unerheblich ist (BGH MDR 22, 1468 f [BGH 06.10.2022 - VII ZR 895/21]). Eine Ausnahme wird man nur für im Anhang einer E-Mail verkörperte Willenserklärung eines unbekannten Absenders machen müssen (Hamm NJW 22, 1822 Rz 9; s dau auch Hengstberger NJW 22, 1780 ff).
Rn 48
Treten in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit Abbrucharbeiten auf einem Grundstück bei einem Nachbarhaus, das 28,5 m entfernt ist, Risse in der zugewandten Außenwand auf, die ihren Ausgang von einer Absenkung im Bereich des Kellers nehmen, kann dem ersten Anschein nach von einer Verursachung der Risse durch die Abbrucharbeiten ausgegangen werden (Frankf MDR 10, 22 [OLG Rostock 19.05.2009 - 3 U 16/09]; Ddorf NJW-RR 15, 211 [BGH 06.11.2014 - V ZB 131/13]). Ein Anscheinsbeweis scheidet aber aus, wenn noch andere Umstände vorliegen, die zu den Rissen geführt haben könnten (Ddorf NJW-RR 17, 856, 857 [OLG Brandenburg 05.04.2017 - 4 U 112/14] Rz 34). Die Loslösung von Gebäudeteilen infolge von Witterungseinwirkung beweist im Wege des Anscheinsbeweises grds, dass die Anlage entweder fehlerhaft errichtet oder mangelhaft unterhalten war (BGH NJW 97, 1853, 1854 [BGH 04.03.1997 - VI ZR 51/96]; Stuttg NJW-RR 17, 793, 794 [OLG Stuttgart 23.11.2016 - 4 U 97/16]). Werden bei Estrich- und Parkettverlegearbeiten abgebrochene oder lose Teile einer Trockenestrichplatte mit Nägeln im Boden fixiert und kommt es vier Tage später zu einem Leitungswasserschaden, weil ein Stahlnagel ein wasserführendes Heizungsrohr beschädigt hatte, beruht der Wasserschaden dem ersten Anschein nach auf den Parkettverlegearbeiten (BGH MDR 14, 899 f). Ist ein Vertrag seiner inhaltlichen Gestaltung nach für eine mehrfache Verwendung entworfen und von einem Bauträger gestellt worden, spricht der erste Anschein für einen vom Bauträger verwendeten Formularvertrag, der der Kontrolle durch die §§ 305 ff BGB unterliegt (BGHZ 184, 259, 263 Rz 10 = NJW 10, 1131; BGHZ 200, 326, 333 Rz 24 ff = NJW 14, 1725, 1727). Bei kleiner...