Rn 42
Im Arzthaftungsrecht ist der Anwendungsbereich des Anscheinsbeweises eher eingeschränkt, weil nicht ohne weiteres aus dem Misslingen einer ärztlichen Behandlung auf ein Verschulden des Arztes geschlossen werden kann (vgl Laumen FS Jaeger 14, 71, 74). Ein Anscheinsbeweis ist jedoch zu bejahen, wenn die medizinische Behandlung zu einem Schaden geführt hat, der typischerweise auf einem ärztlichen Behandlungsfehler beruht (ausf Katzenmeier S 429 f; ferner G. Müller MedR 15, 520, 521). Ein Verschulden ist insb angenommen worden, wenn Gegenstände in der Operationswunde zurückgelassen worden sind, etwa das Zurücklassen einer großen Arterienklemme in der Bauchhöhle (BGHZ 4, 138, 144 = NJW 52, 382) und das Auffinden eines Bauchtuches (BGH VersR 52, 180, 181; Dresd NJW-RR 20, 1152, 1153), von Tamponresten (BGH VersR 56, 577, 578) in der Operationswunde oder eines Katheterstücks in der Arterie zwischen Herz und Lunge (Hamm VersR 78, 332). Diese Fälle sind heute eher dem voll beherrschbaren Risiko zuzuordnen und führen gem § 630h I BGB zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für das Verschulden (vgl BGH NJW-RR 18, 205 ff [BGH 26.09.2017 - VI ZR 529/16]; Laumen FS Jaeger 14, 71, 83). Tritt nach der Injektion eines Medikaments eine Lähmung (BGH VersR 57, 336) oder eine ausgedehnte Gewebenekrose (Ddorf VersR 84, 241) auf, kann ebenfalls dem ersten Anschein nach von einem Verschulden des Arztes ausgegangen werden. Für eine schuldhaft falsche Spritztechnik des Arztes spricht es, wenn sofort nach der Injektion eines Antirheumatikums in den Gesäßmuskel erhebliche Schmerzen auftreten (LG Ravensburg VersR 88, 1076). Wird einer Zahnarztpatientin ein ungeeignetes Langzeitprovisorium eingesetzt und zeigt sie noch am gleichen Tag allergische Reaktionen, so sind diese dem ersten Anschein nach auf das ungeeignete Langzeitprovisorium zurückzuführen (LG Aachen v. 13.8.14 – 11 O 24/11, juris Rz 33). Verabreicht der Arzt ein neues, erst im Laufe der Behandlung zugelassenes Medikament (hier: gegen Epilepsie) und kommt es kurze Zeit später zu irreparablen Augenschäden bei dem Patienten, spricht ein Anscheinsbeweis für den Ursachenzusammenhang zwischen der Verabreichung des Medikaments und dem eingetretenen Schaden (BGHZ 172, 1, 6 Rz 14 = NJW 07, 2767). Schließlich besteht ein Anscheinsbeweis dafür, dass sich ein Patient entsprechend einer ihm erteilten therapeutischen Aufklärung verhalten hätte (BGH NJW 89, 2318, 2320; Oldbg GesR 16, 522; s dazu ausf Mäsch MedR 22, 717 ff).