Rn 99
Unter Beweisvereitelung wird ein Verhalten verstanden, durch das eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet, vorenthält oder ihre Benutzung erschwert, oder indem sie zumindest fahrlässig die Aufklärung eines bereits eingetretenen Schadensereignisses unterlässt, um dadurch die Entstehung eines Beweismittels zu verhindern, obwohl die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung dem Aufklärungspflichtigen bereits erkennbar gewesen sein muss (BGH NJW 97, 3311, 3312; BGHZ 223, 139, 147 Rz 27 = NJW 19, 3722, 3724). Ausgenommen sind von vornherein Fälle, in denen es der beweisbelasteten Partei möglich gewesen wäre, das jeweilige Beweismittel selbst zu sichern (BGH WRP 16, 35 [BGH 11.06.2015 - I ZR 226/13] Rz 44; Bambg NJW 17, 414, 415). Die Beweisvereitelung kann sich auf sämtliche Beweismittel beziehen und sowohl den Hauptbeweis, den Beweis des Gegenteils (vgl den Fall Kobl NJW-RR 18, 1323, 1325) als auch den Gegenbeweis betreffen, etwa wenn der Gegenbeweis zur Erschütterung eines Anscheinsbeweises vereitelt wird (BGH NJW 98, 79, 81 f [BGH 17.06.1997 - X ZR 119/94] mit abl Anm Prütting LM Nr 100 [C]). Ein Verhalten der beweisführungsbelasteten Partei selbst kann dagegen nicht zu einer Beweisvereitelung führen (vgl den Fall Saarbr NJW-RR 12, 285, 286 [OLG Saarbrücken 25.10.2011 - 4 U 540/10 - 168]). Es hat lediglich zur Folge, dass die betreffende Partei beweisfällig bleibt.
Rn 100
Beweisvereitelnde Verhaltensweisen können sowohl während eines Prozesses als auch im vorprozessualen Stadium vorkommen (ausf dazu Baumgärtel/Laumen Bd 1 Kap 16 Rz 7 f). Eine vorprozessuale Beweisvereitelung liegt zB dann vor, wenn bei einem Streit über die Todesursache eines Hundes eine eingehende Untersuchung vor der Vernichtung des Kadavers unterlassen worden ist (Kobl OLGZ 91, 117), wenn eine Kfz-Werkstatt oder der Kfz-Halter ein ausgetauschtes, angeblich mangelhaftes Teil entsorgt (BGH NJW 06, 434, 436; Kobl DAR 18, 508, 510), wenn ein Unfallfahrzeug sofort nach dem Unfall weiterveräußert wird, um Feststellungen zum Schadensumfang zu verhindern (Ddorf MDR 03, 215), wenn ein Versicherer dem VN den Beweis der Echtheit seiner Unterschrift dadurch unmöglich macht, dass er die Originale der Anträge nach der Mikroverfilmung vernichtet (BGH NJW-RR 01, 1471 [OLG Frankfurt am Main 01.02.2001 - 1 W 11/00]; dazu Timme JA 01, 534 ff [BGH 21.06.2000 - IV ZR 157/99]), wenn jemand seine Unterschriften bewusst in einer so großen Vielfalt und Variationsbreite gestaltet, dass der von ihm erhobene Fälschungseinwand durch einen Schriftsachverständigen nicht widerlegt werden kann (BGH NJW 04, 222 [BGH 23.09.2003 - XI ZR 380/00]), wenn der Geschäftsführer einer GmbH die ihm obliegende Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen nach §§ 238, 257 HGB, 41 GmbHG verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten der Zahlungseinstellung nicht möglich ist (BGH MDR 12, 549, 550 Rz 16), wenn ein Versicherer die ihm zum Nachweis eines Wildunfalls eingesandten Haarspuren eines Fuchses beseitigt (München DAR 15, 651, 652), wenn ein Werkunternehmer bei der Mangelbeseitigung mittels einer Ersatzvornahme die dabei zutage getretenen Mängel nicht dokumentiert hat (BGH NJW 09, 360, 362 Rz 19 ff), wenn der wegen eines Kunstfehlers verklagte Arzt wichtige Befunde nicht aufbewahrt (BGHZ 132, 47, 50 = NJW 96, 1589), wenn der Käufer eines Gebrauchtwagens eine defekte Kraftstoffhochdruckpumpe entsorgt und damit verhindert, dass der Verkäufer die Vermutung des § 477 BGB durch den Nachweis widerlegt, dass der Defekt auf einen ›atypischen‹ Verschleiß zurückzuführen ist (LG Bielefeld MDR 16, 646 f; ebenso Kobl NJW-RR 18, 1323, 1325), wenn der Ersteher einer ersteigerten Wohnung die Immobilie eigenmächtig in Besitz nimmt und es unterlässt, ein Verzeichnis über die in der Immobilie vorgefundenen, von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Gegenstände zu erstellen (BGH NJW 17, 3656, 3657 [BGH 23.06.2017 - V ZR 175/16] Rz 7 ff) oder wenn die Ordnungsbehörde es versäumt, den Zustand einer Wohnung vor der Einweisung eines Obdachlosen zu dokumentieren (BGH NJW 96, 315, 317 [BGH 09.11.1995 - III ZR 226/94]; Köln NJW 00, 3076, 3077 [OLG Köln 04.11.1999 - 7 U 82/99]). Die letztgenannten Beispiele zeigen sehr deutlich, dass die Verletzung der Dokumentations- und Befundsicherungspflicht als Unterfälle der Beweisvereitelung zu verstehen und in ihren beweisrechtlichen Folgen den übrigen Fallkonstellationen gleich zu stellen sind (Laumen NJW 02, 3739, 3745 mwN).
Rn 101
Während des Prozesses kann ein beweisvereitelndes Verhalten va darin liegen, dass die nicht beweisführungsbelastete Partei ohne triftigen Grund ihre Bank (BGH NJW 67, 2012 f [BGH 20.06.1967 - VI ZR 201/65]), den beurkundenden Notar (BGH NJW-RR 96, 1534), ihren Steuerberater (BGH MDR 84, 48) oder Ärzte bzw Krankenhauspersonal (BGH NJW 72, 1131 [BGH 08.12.1971 - IV ZR 81/70]) nicht von einer...