Rn 6
In diesem Bereich liegen die eigentlichen Probleme der Norm, die auch heute noch nicht als endgültig geklärt angesehen werden können (vgl MüKoZPO/Prütting Rz 9 ff mwN). In Rspr und Lit wird allgemein zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität unterschieden (BGHZ 221, 43, 48 Rz 12 = NJW 19, 2092 m Anm Ullenboom; St/J/Thole Rz 13 ff). Während im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität der Vollbeweis gem § 286 I erforderlich ist, können bei der haftungsausfüllenden Kausalität die Beweiserleichterungen des § 287 Anwendung finden (BGH NJW 92, 3298 [BGH 22.09.1992 - VI ZR 293/91]). Abzulehnen sind demgegenüber die Auffassungen, alle Kausalfragen entweder generell nach § 286 I (Prölss S. 53 ff; Wahrendorf S. 47 ff) oder nach § 287 zu beurteilen (Hanau S. 117 ff, 135 ff; Gottwald S. 78 ff). Zweifelhaft ist indes die Abgrenzung der beiden Bereiche.
a) Haftungsbegründende Kausalität.
Rn 7
Die Rspr hat die Anwendung des § 286 I in diesem Bereich zT sehr stark eingeschränkt, indem sie allein auf den unklaren Begriff des ›Betroffenseins‹ abgestellt hat. Zur Anwendung des § 287 soll es danach genügen, dass der Vertragspartner oder der durch die jeweilige Vorschrift Geschützte durch ein bestimmtes Ereignis tatsächlich in seinen Rechten ›betroffen‹ worden ist (BGHZ 4, 192, 196 = NJW 52, 301; NJW 83, 998 f; VersR 75, 540, 541). Dagegen ist zu Recht eingewandt worden, dass dadurch die haftungsbegründende Kausalität und damit der Haftungsgrund bereits mit der konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsgutes gegeben ist (zur Kritik vgl Arens ZZP 88 [75], 1, 8 ff; Stoll AcP 176 [76], 145, 185 f). Es ist vielmehr daran festzuhalten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und der Verletzung eines absoluten Rechts, Rechtsguts oder Vermögens des Geschädigten auf jeden Fall zur haftungsbegründenden Kausalität gehört (MüKoZPO/Prütting Rz 10; St/J/Thole Rz 15; R/S/G § 115 Rz 14). Bei Vertragsverletzungen hat dies zur Folge, dass der Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Beeinträchtigung des Rechtgutes nach § 286 I zu beurteilen ist, während sämtliche Schadensfolgen dem Beweismaßstab des § 287 unterfallen (so wohl auch BGH NJW 93, 3073, 3076 [BGH 15.06.1993 - XI ZR 111/92]). Bei deliktischen Ansprüchen gehört der Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und der ersten Rechtsgutsverletzung zur haftungsbegründenden Kausalität und damit zum Anwendungsbereich des § 286 I (BGH NJW 20, 3176, 3177 [BGH 23.06.2020 - VI ZR 435/19] Rz 13 m Anm Almeroth). Nach dieser Vorschrift zu beurteilen ist deshalb zB der Zusammenhang zwischen einem Arztfehler und der Gehbehinderung eines Patienten (BGH NJW 87, 705, 706 [BGH 24.06.1986 - VI ZR 21/85]), die Kausalität zwischen einem Hirnschaden in seiner konkreten Ausgestaltung und einer fehlerhaften Geburtseinleitung (BGH NJW 98, 3417, 3418 [BGH 21.07.1998 - VI ZR 15/98]) oder die Ursächlichkeit eines Unfalls für ein HWS-Syndrom (Celle NJW-Spezial 10, 233; München NJW 11, 396 f [OLG München 05.11.2010 - 10 U 2401/10]; Ddorf NJW 11, 3043 ff [OLG Düsseldorf 12.04.2011 - I-1 U 151/10]; s. dazu ausf Jahn NJW-Spezial 12, 457 f). Der Maßstab des § 286 I ist auch heranzuziehen, wenn es um die Frage geht, ob frühere Krankheiten oder Gebrechen bei der durch einen Unfall verursachten Gesundheitsbeschädigung mitgewirkt haben (BGH MDR 12, 154 [BGH 23.11.2011 - IV ZR 70/11]). Der Streit um die Abgrenzung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität verliert allerdings an Relevanz, wenn man auch für die Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität iRd § 286 I entsprechende Beweiserleichterungen – etwa im Wege des Anscheinsbeweises – zulässt (s § 286 Rn 34).
b) Haftungsausfüllende Kausalität.
Rn 8
Der Ursachenzusammenhang zwischen dem zum Schadensersatz verpflichtenden Verhalten und dem Entstehen des Schadens im Einzelnen unterfällt als Teil der haftungsausfüllenden Kausalität dem Anwendungsbereich des § 287. Nach dieser Vorschrift ist zB zu beurteilen, ob die behauptete Arbeitsunfähigkeit auf dem unfallbedingten Schaden beruht (BGH NVersZ 05, 65). Das Gleiche gilt für die Frage, ob ein Schaden durch ein bestimmtes Ereignis mit verursacht worden ist (BGH NJW-RR 05, 897, 899), welche Anteile verschiedene Mitverursacher an der Entstehung eines Schaden haben (BGHZ 66, 71, 76 = NJW 76, 797), ob aufgrund eines Kartellrechtsverstoßes ein Schaden entstanden ist (BGHZ 211, 146, 163 Rz 43 = NJW 16, 3527, 3533 m Anm Rother), ob der Schaden an einem Fahrzeug auf einer sachwidrigen Reparatur beruht (LG Gießen DAR 17, 525, 527), oder ob ein Dauerschaden auch einem Zweitschädiger zuzurechnen ist (BGH NJW 02, 504, 505). Nach § 287 ist auch der Kausalzusammenhang zwischen der Körperverletzung und dem Tod des Verletzten zu beurteilen (BGH NJW 92, 3298 f [BGH 22.09.1992 - VI ZR 293/91]). Im Regressprozess gegen einen Anwalt, Notar, Steuerberater oder Sachverständigen muss das Gericht nach § 287 entscheiden, wie ein vorangegangener oder hypothetischer Rechtsstreit ohne den Beratungsfehler ausgegangen wäre (fü...